KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (33) © 2009, Sonja Hubmann

Und nun, beim dritten Mal, war auch endlich der Inhalt zu ihr durchgedrungen: „Katharina, ich hab‘ da ein paar Informationen im Internet gefunden!“, brüllte ihr die wohlbekannte Stimme eines Mädchens ungeduldig entgegen. Katharina öffnete die Augen und fand sich in jener Position wieder, in der sie sich schon einmal wähnte. Sie wollte etwas vom Boden aufheben, doch es war kein Stofftaschentuch, sondern ein Schulheft.

Als es ihr endlich gelungen war, das Heft mit ihren kalten Fingern zu ergreifen, wurde sie von ihrer Freundin Nadine scherzhaft zurechtgewiesen: „Hey, Du solltest meine Geschichte lesen und sie nicht wegwerfen!“ Katharina brauchte einige Sekunden um sich emotional zu fangen. War sie gerade von einer Schlafattacke überfallen worden? Was war mit Markus? Wo war die Parkbank? Wo die Prachtillumination? Hatte sie dieses „Venedig in Wien“ etwa nur geträumt? Nein, das konnte nicht sein. Es war doch alles so real gewesen. Der Kuss, die Gondelfahrt, das Riesenrad und all die anderen Attraktionen, die sie gesehen hatte. Was war mit Emilie und ihrem Vater? Gab es diese Personen vielleicht gar nicht?

Um nicht vollends durchzudrehen, versuchte sich Katharina krampfhaft auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und entschuldigte sich nun geistesabwesend: „Sorry, das Heft ist mir hinuntergefallen. Ich war plötzlich so müde.“ Nadines Blick wanderte auf den Notizblock, der neben Katharina lag. Sie nahm ihn an sich und begutachtete die vollgekritzelten Seiten.
„Dir ist ja doch etwas eingefallen.“, staunte sie überrascht. 

Katharina beäugte ebenso verblüfft wie Nadine ihren Notizblock, dessen Seiten bis vor wenigen Minuten noch völlig leer gewesen waren. Als Überschrift sprang ihr der Satz „Venedig in Wien“ entgegen. Ungläubig schüttelte Katharina den Kopf: „Aber …das gibt’s doch gar nicht.“, stammelte sie fassungslos. „Stimmt“, konstatierte Nadine verblüfft, „Du brauchst sonst immer Ewigkeiten für einen Aufsatz.“ Interessiert wandte sie sich dem von Katharina verfassten Werk zu.

In diesem Augenblick schlenderte Jasmin an der immer noch verdutzten Katharina vorüber, dicht gefolgt von Marcel. Ihre stark geschminkte Klassenkollegin strahlte sie arrogant an: „Ich hab meine Aufgabe fertig!“, verkündete die nicht mit Reizen geizende Teenagerin triumphierend und wartete bis Marcel zu ihr aufgeschlossen hatte. Sie strich ihm dankbar über die Brust, was dem hilfsbereiten Oberstufen-Schüler allerdings gar nicht so angenehm zu sein schien. 

Er wich einen Schritt zurück und lächelte Katharina verlegen an: „Na ja, ich habe Jasmin etwas über das Jahr 1873 erzählt, also genauer gesagt über die Weltausstellung, die Choleraepidemie, die Wirtschaftskrise und so weiter.“ „Aha“, lautete Katharinas dürftige Reaktion, die immer noch ihren Erlebnissen nachhing und eine geradezu verblüffende Ähnlichkeit zwischen Marcel und diesem Markus aus ihrem offensichtlichen Traum feststellen musste. Auch Emilie und Nadine schienen sich fast aufs Haar zu gleichen. 

Gerade als Jasmin bei Marcel wieder ihren Charme spielen lassen wollte, platzte die beleibte Klara in die Kantine und forderte ihre Freundin auf, sich zu beeilen: „Komm! Ich muss Dir noch etwas erzählen bevor die Stunde beginnt!“ Jasmin hielt dies jedoch für einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt. „Muss das jetzt sein?“, knurrte sie genervt. Nachdem sich Klara aber nicht abschütteln ließ, verabschiedete sich Jasmin mit einem zärtlichen Händedruck von Marcel.

(Ende Teil 33 / Fortsetzung folgt …)

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