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KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (27) © 2009, Sonja Hubmann

Ernesto klopfte seinem Freund Matías auf die Schulter und blinzelte zeitgleich Katharina zu: „Na? Haben euch meine Eltern schon die wichtigsten Schauergeschichten über mich erzählt?“ Katharina schüttelte lächelnd den Kopf: „Nein, sie haben uns nur von der Mate-Plantage erzählt und dass ihr von dort weggezogen seid.“ Ernesto bestätigte diese Tatsache mit einem kurzen Nicken und setzte sich lässig auf einen im Raum befindlichen Holztisch, an dem bereits Natalia lehnte. Sichtlich erfreut über diese unerwartete Annäherung strahlte das dunkelhaarige Mädchen ihren Schwarm an.  Da es ihr in Ernestos Gegenwart aber offenbar die Sprache verschlagen hatte, erkundigte sich Katharina weiter: „Und seit wann lebst Du hier in Córdoba?“ Ernesto glitt zu Natalias Enttäuschung wieder vom Tisch herunter und überlegte halblaut: „Also, im März 1942 begann ich hier im ‚Déan Fu‘ zu studieren …“ Mit Déan Fu‘ meinte er wohl seine Schule, das Colegio Nacional Déan Funes. Matías erinnerte sich mitfühlend: „Du

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (26) © 2009, Sonja Hubmann

„Wofür interessierst Du Dich?“, wollte er nun von Natalia wissen. Die hübsche 15jährige räusperte sich verlegen und starrte unschlüssig auf die riesige Bibliothek, bis sie einfach wahllos ein Themengebiet nannte: „Poesie. Ich mag Gedichte!“, gestand Natalia. Ihr Angebeteter strich sich lässig über sein pechschwarzes Haar und trat dicht an Natalia heran. Theatralisch nahm er ihre zarte Hand und begann mit seinem Vortrag: „Para mi corazón basta tu pecho, para tu libertad bastan mis alas …“.  Den Rest dieses Gedicht rezitierte er mit warmherziger Stimme, setzte allerdings immer wieder kantige Akzente, die seinen Vortrag noch fesselnder machten, zumindest für Natalia, die gebannt an seinen wohlgeformten Lippen hing. Auch Matías lauschte den Worten seines Schulkameraden und fixierte diesen mit seinen tiefblauen Augen. Einzig und alleine Katharina ließ sich von der weiteren Inspektion des Bücherregals nicht ablenken.  Während Ernesto sein Herzblut in das wortgewaltige Gedicht legte, versuc

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (25) © 2009, Sonja Hubmann

  Gerade, als die Unterhaltung noch politischer zu werden drohte, kam Roberto mit schmerzverzerrtem Gesicht ins Zimmer gerannt: „Autsch, ich hab‘ mir den Finger verstaucht. Ernesto hat viel zu scharf geschossen.“, beklagte er sich bei seiner Mutter, die sich jedoch nicht besonders besorgt zeigte. „Zeig mal her“, forderte sie ihren Sohn auf und begutachtete seinen etwas angeschwollenen Mittelfinger. Nach eingehender Prüfung riet sie ihm emotionslos: „Halte ihn unters kalte Wasser.“ In diesem Augenblick erschien auch Ernesto im Raum und grinste provokant: „Er hat gesagt, ich soll schärfer schießen. Genau das habe ich getan. Er muss wohl noch lernen Schmerzen zu ertragen.“  Sein mitleidloser Blick erregte jedoch Frau Ferrers Gemüt: „Aber Du kannst doch nicht alle an Deiner eigenen Schmerzunempfindlichkeit messen.“, rügte sie ihn mit gebotener Zurückhaltung. Ernesto Senior schwang theatralisch seinen rechten Arm in die Luft, gestikulierte wie ein großer Feldherr und verlautbarte mit stolzg

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (24) © 2009, Sonja Hubmann

  Eine kurze Stille hatte sich im Raum breitgemacht. Man hörte lediglich die enthusiastischen Zurufe der beiden Rugby-Spieler, die sich im fliesenbedeckten Innenhof lautstark das Rugby-Ei zuwarfen. Matías, den die Lebensgeschichte der Guevaras sichtlich interessierte, erkundigte sich weiter: „Und warum sind Sie aus Misiones weggezogen?“ Ernesto Senior seufzte schwermütig: „Aus zwei Gründen: Ernestos Asthma und meine Werft in Río de la Plata, die nicht mehr so gut ging, weil damals mein Teilhaber aus dem Unternehmen ausgestiegen ist. Wir sind daher Ende 1929 nach Buenos Aires gefahren.“ „Erinnere mich bloß nicht daran“, jammerte Celia kopfschüttelnd, „diese vier Stunden flussaufwärts waren damals grauenvoll.“  „Wieso denn das?“, forschte Katharina mit neugierigem Blick. Celia überließ großzügig ihrem Mann die weiterführende Erzählung: „Ich muss sagen, dass meine Frau damals schon mit unserer Tochter schwanger war. Das hat die Sache nicht gerade einfacher gemacht. Wir wollten mit unse

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (23) © 2009, Sonja Hubmann

  Diesen kurzen Moment der Unachtsamkeit, hatte Celia aber genutzt, um dem sympathischen Mädchen eine weitere Tasse Tee einzuschenken. „Nein, ich …“, wollte Katharina diese freundliche Geste noch höflich abwehren, aber zu spät. Die gelblich-grüne Flüssigkeit war bereits unaufhaltsam in das Gefäß geronnen. Matías, der das innere Dilemma der Mate-Tee-Verweigerin mitbekommen hatte, lächelte ein wenig schadenfroh, entschärfte seine Reaktion dann aber durch ein mitleidiges Augenzwinkern.  Katharina versuchte immer noch alle Widrigkeiten wie Mate-Tee und Zigarrenrauch zu ignorieren und formulierte eine weitere Frage: „Wenn das Haus direkt an einem Fluss war, gab es da nicht manchmal Hochwasser?“ Ernesto Senior rief die gewünschte Information aus seinem Gedächtnis ab: „Nun ja, unser Haus lag auf einer kleinen Anhöhe, aber etwas unterhalb war der Paraná an die 600 Meter breit.“ Während Katharina versuchte, sich diese Distanz vorzustellen, warf Celia begeistert ein: „Dafür konnte man dort aber

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (22) © 2009, Sonja Hubmann

  An Natalia ging die Insektengeschichte jedoch spurlos vorüber, da sie nur Augen für Ernesto hatte, den sie immer wieder in kleine Gespräche verwickelte. Seine Schwester Celia war ihr dabei jedoch keine besonders große Hilfe, bis zu dem Moment als auch sie von den Schilderungen ihres Vaters genug hatte: „Soll ich euch unser Haus zeigen?“, offerierte sie Natalia und Katharina schließlich spontan. Natalia erhob sich interessiert und erkundigte sich beiläufig bei Ernesto: „Kommst Du mit?“ Der angesprochene Junge schob etwas unschlüssig das Unterkiefer nach vorne und murmelte ein „ja“. Gerade jedoch, als auch Katharina aufstehen wollte, entschied sich Matías unerwarteter Weise dagegen: „Ich bleibe hier. Ich will diese Dschungel-Geschichte noch zu Ende hören.“ Katharina verwarf ihren Plan an der Hausführung teilzunehmen in der Sekunde und setzte sich wie auf einen stummen Befehl wieder nieder. Etwas unglaubwürdig murmelte sie an Natalia gewandt: „Ich will die Geschichte auch noch zu Ende h

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (21) © 2009, Sonja Hubmann

  Aufgrund des wissenden Lächelns aller am Tisch versammelten Personen, war für Katharina klar, dass sie als einzige keinen blassen Schimmer vom Vorleben der Guevaras hatte. Celia begann schließlich offenherzig von der Mate-Tee-Plantage, die sie gemeinsam mit ihrem Mann in der Provinz Misiones angelegt hatte, zu erzählen: „Unser kleines Paradies lag zwischen Brasilien und Paraguay, zwischen den Flüssen Paraná und dem Uruguay.“ Ernesto Senior übernahm sofort schwärmerisch das Wort und schilderte die Schönheit dieser Gegend, angefangen vom subtropischen Klima, über den dichten Urwald mit seiner unvergleichlichen Flora und Fauna, bis hin zu den wasserreichen Flüssen, die sich rauschend und plätschernd ihren Weg nach Osten bahnten. Herr Ferrer kniff kurz die Augen zusammen und überlegte: „Hm, war nicht auch der französische Gelehrte Bonpland in diesem Landstrich unterwegs?“  „Ja, er war ebenso fasziniert von dieser naturbelassenen Pracht wie Alexander von Humboldt.“, ergänzte Herr Guevara

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (20) © 2009, Sonja Hubmann

  Noch ehe die beiden Jungs ihre kleine Konfrontation fortsetzen konnten, hatten sich die anderen Gäste jedoch wieder Celia und ihrem Mann zugewandt, die abwechselnd die ihnen gestellte Frage nach den Umständen ihres Kennenlernens beantworteten. „Wir haben uns damals in Buenos Aires getroffen …“, begann Ernesto Senior die Erzählung, „…und Celia hat damals wirklich süß ausgesehen.“  „Was heißt damals?“, protestierte seine immer noch sehr attraktive Frau keck. Ihr Mann korrigierte seine Aussage unter dem allgemeinen Schmunzeln der Anwesenden und meinte kleinlaut: „Du siehst natürlich immer noch sehr hübsch aus.“  Celia nickte geschmeichelt und setzte ihre Geschichte zufrieden fort: „Wir waren damals als wir 1928 geheiratet haben wirklich noch sehr jung, vor allem ich. Daher waren meine Geschwister nicht für diese Heirat.“, offenbarte sie die schmerzliche Wahrheit. „Was heißt, nicht dafür?“, grinste ihr Mann sarkastisch und ergänzte, „sie waren total dagegen, aber wohl in erster Linie, we

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (19) © 2009, Sonja Hubmann

  Als dem maßlos Schlingenden von seiner Mutter ein Glas Wein angeboten wurde, lehnte er dies jedoch mit der Begründung ab: „Heute ausnahmsweise nicht. Ich bin ja am Abend zu dieser Party eingeladen. Da gibt es bestimmt noch Alkohol genug.“, entschuldigte er sich. Sein Bruder Roberto grinste gedankenversunken: „Hi, hi, Du hast wohl gerade an die Weintrauben gedacht, mit denen wir uns als Kinder den Magen verdorben haben.“, erinnerte er seinen älteren Bruder. Ernesto kniff etwas mürrisch seine schwarzbraunen Augen zusammen und grollte: „Dieser Typ hat uns damals ganz schön ausgebeutet.“ Katharina, die sich absolut keinen Reim auf diese bruchstückhafte Erzählung machen konnte, hakte nun interessiert nach: „Wer hat euch ausgebeutet?“  Ernesto unterbrach seine Nahrungsaufnahme kurz und klärte die Unwissenden auf: „Roberto und ich – er war damals neun und ich zehn Jahre alt – wollten eines schönen Sommers bei der Weinlese mithelfen und sind gemeinsam mit ein paar anderen Kindern, die den Jo

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (18) © 2009, Sonja Hubmann

Nachdem das Leben der Guevara-Vorfahren nun ausführlichst geschildert worden war, fügte Ernesto etwas nachdenklich hinzu: „Tja, mein Großvater Roberto hatte wirklich kein einfaches Leben als Landvermesser am Campo del Cielo im Chaco-Gebirge.“ Ernesto Senior nickte zustimmend: „Ja, ich habe meinen Kindern oft von seinen Abenteuern erzählt. Offensichtlich ist es einem echten Guevara nicht vergönnt, ein angenehmes und ruhiges Leben zu führen.“, lachte der kräftig gebaute Brillenträger. Matías, der während dieser Geschichte über die Guevara-Familienchronik, Katharina einen interessierten Blick geschenkt hatte, erkundigte sich nun der Gerechtigkeit halber bei der Gastgeberin: „Hatten Ihre Vorfahren ähnliche Strapazen durchleben müssen?“ Celia neigte den Kopf nachdenklich hin und her und lieferte einen vergleichswiese kurzen und unspektakulären Beitrag zum Thema Ahnen: „Meine Mutter, Edelmira de la Llosa Lacroze, verstarb leider sehr früh. Meinen Vater, Juan Martín de la Serna Ugalde, ha

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (17) © 2009, Sonja Hubmann

  Ernesto steuerte indessen zielstrebig auf seinen Klassenkollegen Tomás Granado zu und schenkte diesem eine freundschaftliche Umarmung. Danach reichte er dem blonden Matías, der unweit der drei Mädchen saß, die Hand und schmunzelte: „Na, Matías? Du hast Dir schon den besten Platz ausgesucht, was?“ Der blonde Junge erwiderte den etwas provokanten Gruß und entgegnete ebenso erheitert: „Setz‘ Dich, du Rugby-Kanone. Beim nächsten Match machen wir euch bestimmt fertig.“, prophezeite er dem siegreichen Spieler, der mit einem entspannten Lachen konterte: „Ha, das sagst Du nach jeder Niederlage, aber wir sind jederzeit für eine Revanche bereit.“ Ernesto setzte sich an die seitliche Ecke des Tisches, ganz in die Nähe von Tomás, den drei Mädchen und Matías. In diesem Moment betraten auch wieder Celia und ihre Haushälterin das Esszimmer. „So, ich habe das Fleisch ein bisschen dünner geschnitten, damit es für alle reicht. Ich hoffe, die Portionen sind jetzt nicht zu klein geraten.“, entschuldi

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (16) © 2009, Sonja Hubmann

  Während nun eine dunkelhäutige, nicht besonders großgewachsene Haushälterin die Getränke ausschenkte, widmeten sich die anderen Gäste ihren ganz persönlichen Gesprächsthemen. Katharinas Blick folgte den Behältnissen mit der dunkelgrünen Flüssigkeit. Sie ahnte Schlimmes. Das war doch nicht etwa schon wieder dieser scheußliche Mate-Tee? Noch ehe sie ihre Befürchtung zu Ende denken konnte, hatte man ihr auch schon eines dieser bauchigen Gefäße inklusive eines metallenen Strohhalms, den die Anwesenden als „Bombilla“ bezeichneten, in die Hand gedrückt. Das Mädchen betete, dass der Mate-Tee hier besser schmecken würde und probierte einen kleinen Schluck. Grauenvoll. Scheußlich. Katharina bemühte sich aber redlich, ihre Gesichtszüge nicht allzu sehr entgleisen zu lassen. Ihr verzweifelter Blick hielt vergeblich nach einem Zuckerstreuer Ausschau. Nichts. Wie in aller Welt konnte man dieses schreckliche Gebräu nur ungesüßt trinken? Da sie sich jedoch keine Blöße geben wollte, nippte sie tapfe

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (15) © 2009, Sonja Hubmann

  Avenida Chile, im Haus der Guevaras, Córdoba (Argentinien) Das Haus der Guevaras sah im Gegensatz zu manchen anderen auf den ersten Blick recht hübsch aus. Es hatte zwei Stockwerke, eine Terrasse und eine Garage, in der ein etwas verwahrlostes Auto sein Dasein fristete. Bei näherem Hinsehen konnte man jedoch erkennen, dass die Vorderfront des Hauses ein wenig windschief war und dass sich zwischen dem Erdgeschoss und dem oberen Stockwerk ein fingerbreiter Spalt gebildet hatte. Offensichtlich versank das Fundament langsam aber sicher im losen Erdreich. Dieses Schicksal erwartete hier in der Gegend wohl mehrere Häuser. Das bunte Stimmengewirr der Anwesenden war bis auf die Straße zu hören. Da die Eingangstüre einladend offenstand, näherte sich Katharina mit höflicher Zurückhaltung dem illustren Personenkreis, der sich unweit der Eingangstüre im Esszimmer versammelt hatte. Ein kurzer Rundblick gab ihr einen ersten Eindruck der um den Tisch versammelten Gäste. Sie zählte insgesamt sie

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (14) © 2009, Sonja Hubmann

  Sie ließ die erhitzten Gemüter der Fußballfanatiker hinter sich und schlenderte nun an zwei schon ergrauten Männern vorbei, die mit ihren etwas krummen, aber flinken Gichtfingern eine Partie Domino spielten. Ihre vom Leben gezeichneten Gesichter glänzten in der heißen Mittagssonne. Die meisten von ihnen pafften genüsslich an ihren selbstgedrehten Zigarren, deren qualmender Rauch sich mit beißendem Gestank durch die Straße schlich. Währenddessen das neugierige Mädchen den alten Herren von diesen fast unbemerkt aus einiger Entfernung über die Schulter schielte, vernahm sie aus dem angrenzenden Gebäude die Stimme eines Radiosprechers, der soeben die neuesten Meldungen verkündete. Katharina verharrte instinktiv in ihrer Position und lauschte den Nachrichten: „Washington. Herbert Hoover wird als Sonderbeauftragter des amerikanischen Präsidenten Truman eine Reise nach Südamerika unternehmen.   Er wird dort prüfen, welchen Beitrag die südamerikanischen Staaten zur Bekämpfung der Ernährung

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (13) © 2009, Sonja Hubmann

Nachdem ihre Mutter endlich das Haus verlassen hatte und wieder Ruhe eingekehrt war, genehmigte sich Katharina ein paar „bocaditos salados“, die auf dem Küchentisch nur darauf zu warten schienen, endlich verzehrt zu werden. Dabei streifte der Blick des hungrigen Mädchens neugierig die daneben liegende Zeitung mit der Aufschrift „La Epoca“. Sie war vom 14. Mai 1946, also von heute. Katharina überflog mit dem Brötchen in der Hand ein paar Meldungen. Da wurde beispielsweise die Herstellung diplomatischer Beziehungen mit der UdSSR gefordert. So, so, der Aufenthalt sowjetischer Vertreter in Argentinien könnte daher als bedeutsame Grundlage für diplomatische Vorverhandlungen benützt werden.  Katharina beförderte einen Happen nach dem anderen in ihren Schlund und blätterte mehr oder weniger gelangweilt weiter. Aha, Amerika will seine Heeresstärke auf 1.550.000 herabsetzen. Das Mädchen grinste verächtlich. Bei eineinhalb Millionen Mann konnte man doch nicht ernsthaft von einer Herabsetzung spr

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (12) © 2009, Sonja Hubmann

Calle Obispo Salguero, bei Katharina zu Hause, Córdoba (Argentinien) Nach weiteren Minuten des Grübelns hatte sie endlich ihr Zuhause in der Calle Obispo Salguero erreicht. Das von einem gepflegten Garten umsäumte Häuschen, war zwar schon ein wenig baufällig, aber der ockerfarbene Anstrich ließ es auf den ersten Blick recht sympathisch wirken. Katharina verlor keine Zeit und hastete zielstrebig über die knarrenden Holzstufen zu ihrem unaufgeräumten Zimmer. Ihren Schulranzen schleuderte sie lässig aufs Bett. Danach hüpfte sie die Treppen wieder nach unten, von wo aus ihr die schrille Stimme ihrer Mutter entgegenhallte: „Catalina, wir fahren jetzt!“, lautete die unmissverständliche Ankündigung. Das soeben angekommene Mädchen reagierte darauf zunächst mit einem versteinerten Blick. Was bedeutete „wir fahren“? Hieß das, sie musste irgendwohin mitfahren? Wohin überhaupt? Katharina steckte ihren Kopf fragend zur Küchentür hinein und erkundigte sich vorsichtig: „Wo fährt wer hin?“ Obwohl de

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (11) © 2009, Sonja Hubmann

Katharina trottete intuitiv die Gasse hinunter. Der Ärger über ihre beiden Klassenkameradinnen war dermaßen groß, dass sie ganz automatisch ihr Domizil ansteuerte. Unterwegs fiel ihr der frische Obst- und Gemüsestand einer alten Händlerin auf. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie hier schon öfters vorbeigekommen war. Das köstliche Warenangebot lockte mit südländischen Früchten. Katharina blieb stehen und bat um eine saftig aussehende Orange. Die zahnlose, aber rüstige alte Dame offerierte ihr allerdings einen ausgehöhlten Kürbis und lächelte charmant: „Hier, Catalina, ich habe frischen Mate-Tee für Dich. Da ist ein ganz besonderes Gewürz drinnen.“, pries sie den Drink geheimnisvoll an.  Katharina starrte die freundliche Frau an und griff nach dem eigentümlichen Getränk. Obgleich ihr die Verkäuferin bekannt vorkam, kämpfte das Mädchen schon wieder mit ihren Erinnerungen. Sie widmete sich jedoch wieder dem Getränk, das sie eingehend begutachtete. Schließlich wagte sie einen Schluck.

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (10) © 2009, Sonja Hubmann

Da Katharina jedoch nicht länger die Aufriss-Methoden ihrer besten Freundin kritisieren wollte, kam sie sofort zum Wesentlichen: „Wann sollen wir bei den Guevaras sein?“ Natalia blickte auf ihre Armbanduhr und grübelte: „Also, jetzt ist es kurz vor zwei Uhr, das bedeutet, wir könnten vielleicht so gegen drei dort sein?“  „Und wo wohnen die Guevaras?“, erkundigte sich Katharina neugierig.  „Avenida Chile 288“, kam es wie aus der Pistole geschossen über Natalias weiche Lippen. „Und was machen wir in der Zwischenzeit?“, seufzte Katharina ratlos. Natalia strich sich durch ihr kurzes, dunkles Haar und entschied spontan: „Ich muss leider noch nach Hause, aber wir treffen uns einfach direkt im Haus der Guevaras.“ Noch ehe Katharina diesen Vorschlag reflektieren konnte, hatte sich Natalia bereits mit einem flüchtigen Abschiedsgruß aus dem Staub gemacht.  Na, ganz toll, dachte die alleine gelassene und immer noch verwirrte Schülerin. Sollte sie sich nun ebenfalls nach Hause begeben? Wo wohnte s

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (9) © 2009, Sonja Hubmann

Aufgrund einer über den Gang gespannten Banderole, erkannte Katharina, dass sie sich soeben im Mädchenlyzeum von Córdoba befand. Dies war doch bestimmt nicht ihr erster Tag an diesem Gymnasium. Weshalb aber hatte sie dann das Gefühl, dass sie hier fremd war? Sie trottete gemeinsam mit ihrer Freundin Natalia nach draußen.  Vor dem Gebäude wiederholte ihre schlanke Schulkollegin die Frage von vorhin: „Kommst Du mit?“ Katharina musterte sie mit großen Augen: „Ich weiß nicht“, drückte sie herum, „bin ich denn eingeladen?“ Natalia lachte amüsiert auf: „Bei den Guevaras braucht niemand eine Einladung. Die haben immer ein offenes Haus für alle. Aber, wenn es Dich beruhigt, Ernestos Schwester Celia hat mich eingeladen und gemeint, ich könnte gerne noch eine Freundin mitbringen.“ Katharina schluckte etwas perplex.  Ernesto? Celia? Sollte sie die beiden etwa kennen? Sie wagte angesichts ihrer Erinnerungslücken eine vorsichtige Frage: „Wer ist Ernesto?“ Natalia sah sie vorwurfsvoll an und knurrt

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (8) © 2009, Sonja Hubmann

DIENSTAG, 14. Mai 1946 Klassenzimmer, Córdoba (Argentinien) Dann endlich gelang es ihr wieder die Augen zu öffnen. Sie atmete ein paar Mal tief durch und richtete ihren Blick an vorne. Okay, alles in Ordnung. Da stand ihr Lehrer und rings um sie waren ihre Klassenkameraden, oder besser gesagt, Kameradinnen. Katharina runzelte jedoch nachdenklich die Stirn. Irgendwie wirkte dennoch alles fremd. Sie versuchte sich angestrengt an die letzten Minuten zu erinnern, aber ihr Gedächtnis verweigerte jegliche Erinnerung.  Die Stimme des Professors, der eine etwas abgetragene dunkle Hose und ein leicht verschwitztes weißes Hemd trug, war nun deutlich lauter geworden: „Catalina!“, rief er ungeduldig in einer Sprache, die Katharina zunächst etwas eigenartig anmutete. Spanisch? Obgleich sie sich bei ihrer Namensnennung „Catalina“ gar nicht so richtig betroffen fühlte, antwortete sie in astreinem Spanisch: „Verzeihung, ich hab‘ die Frage nicht ganz verstanden.“, gab sie verhalten zu. Schon wieder kic

KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (7) © 2009, Sonja Hubmann

Katharina vermied tunlichst jeglichen Blickkontakt und hoffte auf ihre Unscheinbarkeit. Vielleicht hatte der Professor seine Drohung von vorhin bereits vergessen? Sie ringelte eine lange kaffeebraune Haarsträhne um ihre schlanken Finger und zog diese dann wie zufällig in ihr hübsches Gesicht, aber genau das war wohl ein Fehler, denn da war sie schon – die unvermeidliche, alles entscheidende, an sie gerichtete Frage: „Was fällt Ihnen zum Datum 14.06.1928 ein?“  Katharina schluckte geschockt. Die Sekunden schienen sich plötzlich zu ganzen Ewigkeiten auszudehnen. Ihre Zunge versuchte panikartig an ihrem Gaumen Halt zu finden. Wie in Zeitlupe nahm die ins Schwitzen geratene Schülerin auf einmal ihre Umgebung wahr. Bedingt durch ihre psychische Anspannung verkrampften sich ihre Finger, ihr Atem stockte und ihre dunklen Samtaugen hatten jeglichen Glanz verloren. Müdigkeit machte sich in ihr breit und sie ahnte, dass soeben etwas Grauenvolles in ihrem Inneren geschah.  Obgleich sie schon öft