KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (24) © 2009, Sonja Hubmann

 

Eine kurze Stille hatte sich im Raum breitgemacht. Man hörte lediglich die enthusiastischen Zurufe der beiden Rugby-Spieler, die sich im fliesenbedeckten Innenhof lautstark das Rugby-Ei zuwarfen. Matías, den die Lebensgeschichte der Guevaras sichtlich interessierte, erkundigte sich weiter: „Und warum sind Sie aus Misiones weggezogen?“ Ernesto Senior seufzte schwermütig: „Aus zwei Gründen: Ernestos Asthma und meine Werft in Río de la Plata, die nicht mehr so gut ging, weil damals mein Teilhaber aus dem Unternehmen ausgestiegen ist. Wir sind daher Ende 1929 nach Buenos Aires gefahren.“
„Erinnere mich bloß nicht daran“, jammerte Celia kopfschüttelnd, „diese vier Stunden flussaufwärts waren damals grauenvoll.“ 

„Wieso denn das?“, forschte Katharina mit neugierigem Blick. Celia überließ großzügig ihrem Mann die weiterführende Erzählung: „Ich muss sagen, dass meine Frau damals schon mit unserer Tochter schwanger war. Das hat die Sache nicht gerade einfacher gemacht. Wir wollten mit unserem Boot, das wir ‚Kid‘ getauft hatten, den Rio Paraná hinunterfahren. Das Problem war jedoch, dass sich die Lager der Kurbelwelle festgefressen hatten und wir dadurch nicht starten konnten.“ Ernesto Guevara Lynch nahm einen großen Schluck Tee zu sich. Celia nutzte diese Pause, um mit der Schilderung fortzufahren: „Die Männer haben das Boot dann zwei Kilometer gegen den Strom gezogen, weil wir ja in den Hafen nach Puerto Caraguatay wollten.“ 

„Es war mehr eine Sandbank als ein Hafen“, berichtigte Ernesto Senior, „aber ich wusste, dass um elf Uhr die Iberá anlegen würde. Wir mussten also irgendwie dorthin kommen.“ Celia blies den dicken Zigarrenrauch quer über den ganzen Tisch und bemerkte stöhnend: „Die Hitze war unerträglich und mein Mann hat geflucht und geschimpft wie ein Rohrspatz.“ Ernesto Senior nickte schuldig: „Ja, aber das war vor allem deshalb, weil Ernestito ständig gequengelt hat.“ „Zum Glück hatten wir unser Kindermädchen Carmen dabei. Sie war wirklich die Ruhe selbst.“, lobte Celia die Fähigkeiten ihrer damaligen Hausangestellten. 

Ernesto Senior atmete tief durch und lächelte: „Aber wir haben Puerto Caraguatay dann doch noch erreicht. Der Kapitän, den ich noch von früher kannte, hatte uns schon von Weitem gesehen und gnädigerweise gewartet, bis uns das Beiboot des Schiffes endlich an Bord gebracht hat. Das war damals wirklich die Hölle.“, gab er unumwunden zu.

Katharina und Matías erfuhren in den weiteren Minuten noch, dass die Familie Guevara nie wieder nach Misiones zurückgekehrt war. Obwohl Ernesto Senior in San Isidro, wohin sie kurzzeitig gezogen waren, nur Verwaltungsangelegenheiten bezüglich seiner Werft erledigen hatte wollen, war letztendlich doch alles anders als geplant gekommen. Bedingt durch Ernestitos starkes Asthmaleiden zog die Familie im Jahre 1932 in den Luftkurort Alta Gracia. Dort lernten sie das Ehepaar Ferrer kennen. Herr Ferrer war damals der behandelnde Arzt des kleinen Asthma-Patienten gewesen. Er erinnerte sich noch gut an die Zeit, die er mit den Guevaras verbracht hatte und auch daran, dass Papa Guevara Lynch an diesem Ort nicht besonders glücklich gewesen war. 

„Tja, was für Deinen Sohn gut gewesen ist, war für Dich damals eine Katastrophe, was?“, wollte er sich von seinem Freund die Bestätigung holen. Ernesto Senior versuchte jedoch seinen Elendszustand von damals ein wenig herunterzuspielen: „Nun, immerhin durfte ich in Alta Gracia mit meinem Bruder Frederico den Golfplatz des Sierra-Hotels anlegen, aber es stimmt schon – ein Kurort für Tuberkulosekranke ist nichts für einen Nachtschwärmer wie mich.“ „Aber die Sommer waren dort doch immer recht nett.“, rief Frau Ferrer dem mit seinem Schicksal hadernden Brillenträger ins Gedächtnis. Ernesto Senior nickte: „Ich sage ja nicht, dass alles schlecht war. Wir haben wirklich herrliche Sommer verbracht und immerhin hat unser kleiner Ernestito dort euren Sohn Calica kennen gelernt.“ 

Katharina interessierte sich nun für ein paar Detailinformationen: „Wie alt war Ernesto, als Sie nach Alta Gracia gezogen sind?“ „Ernesto war vier …“, rechnete Celia nach und schob grübelnd die Unterlippe nach vorne, „… und Calica drei.“ 

Da das Ehepaar Ferrer nichts gegen diese Aussage einzuwenden hatte, erzählte Ernesto Senior noch über das Hotel Sierras, in dem sich zumeist Leute der oberen Gesellschaftsschichten zum Bridge oder Canasta spielen trafen. Katharina erfuhr auch noch, dass beide Familien, die Guevaras ebenso wie die Ferrers eine sehr liberale politische Einstellung vertraten, die so gar nicht in das konservative Klima von Córdoba passte. Obgleich man in den Reihen der Oberschicht die politische Haltung der Guevaras und der Ferrers nicht besonders guthieß, so respektierte man aufgrund ihrer sozialen Stellung deren Ansichten. 

(Ende Teil 24 / Fortsetzung folgt)

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (24) © 2009, Sonja Hubmann

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (30) © 2009, Sonja Hubmann

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (32) © 2009, Sonja Hubmann