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Es werden Posts vom Februar, 2021 angezeigt.

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (34) © 2009, Sonja Hubmann

Der blonde Oberstufenschüler trat nun verhalten an Katharina heran, die immer noch wie angegossen neben ihrer Freundin Nadine stand, die gerade in Katharinas Notizen vertieft war. Marcel entschuldigte sich mit etwas Bedauern bei der immer noch verwirrt wirkenden Schülerin: „Ich hätte Dir auch gerne geholfen, aber Jasmin hat mich ja förmlich dazu gezwungen. Ich hoffe, Dir ist etwas eingefallen?“  Noch bevor Katharina darauf antworten konnte, ertönte Nadines Stimme aus dem Hintergrund: „Wahnsinn! Das ist brillant, Katharina. Diese Details, diese realistische Erzählweise, unglaublich. Man könnte meinen, Du wärst tatsächlich dort gewesen.“, lobte sie die Geschichte ihrer Schulkameradin. Katharina sah an Marcel empor und beantwortete etwas stockend seine Frage: „Ja, offensichtlich ist mir auch ein bisschen etwas zu dem Thema eingefallen.“  Marcel, der immer noch ein schlechtes Gewissen hatte, weil er Jasmin geholfen hatte und ihr nicht, überreichte Katharina nun seine Visitenkarte: „Hier, f

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (33) © 2009, Sonja Hubmann

Und nun, beim dritten Mal, war auch endlich der Inhalt zu ihr durchgedrungen: „Katharina, ich hab‘ da ein paar Informationen im Internet gefunden!“, brüllte ihr die wohlbekannte Stimme eines Mädchens ungeduldig entgegen. Katharina öffnete die Augen und fand sich in jener Position wieder, in der sie sich schon einmal wähnte. Sie wollte etwas vom Boden aufheben, doch es war kein Stofftaschentuch, sondern ein Schulheft. Als es ihr endlich gelungen war, das Heft mit ihren kalten Fingern zu ergreifen, wurde sie von ihrer Freundin Nadine scherzhaft zurechtgewiesen: „Hey, Du solltest meine Geschichte lesen und sie nicht wegwerfen!“ Katharina brauchte einige Sekunden um sich emotional zu fangen. War sie gerade von einer Schlafattacke überfallen worden? Was war mit Markus? Wo war die Parkbank? Wo die Prachtillumination? Hatte sie dieses „Venedig in Wien“ etwa nur geträumt? Nein, das konnte nicht sein. Es war doch alles so real gewesen. Der Kuss, die Gondelfahrt, das Riesenrad und all die andere

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (32) © 2009, Sonja Hubmann

  Sie schlenderten durch die von Gaskandelaber beleuchteten Wege und bekamen gerade noch das Ende des Monster-Streichorchesters mit, das mit hundert Mann auf dem zweiten Campo konzertierte. „Unglaublich“, staunte Katharina von diesem Klangerlebnis gefesselt, „wie bekommt man denn so ein großes Orchester zusammen?“ Markus enträtselte ihre Frage: „Das ist das bosnisch-herzegowinische Infanterie-Regiment 4 und die Tiroler Kaiserjäger.“ „Das klingt wahrlich mächtig.“, gestand Katharina überwältigt.  Leider endete das Konzert für ihre Begriffe viel zu früh, aber die anschließende Prachtillumination des gesamten Vergnügungsparks versöhnte sie wieder vollends. Riesige elektrische Reflektoren beleuchteten den Park und verliehen ihm ein zauberhaftes Ambiente, das nur hin und wieder durch besonders grelle Strahlen durchbrochen war. Ein Heer von flimmernden Glühlampen zog Tausende von Insekten in ihren Bann, die munter um die Lichtquellen tanzten. „Wir müssen zurück zum Riesenrad!“, mahnte Kathar

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (31) © 2009, Sonja Hubmann

Währenddessen die Musikkapelle herzhaft und feierlich „God save the Queen“ intonierte, bestieg um Punkt acht Uhr der Botschafter mit Lady Rumbold samt Anhang die Ehrentribüne. Die Ingenieure Harry Hitchins und Robert Feilendorf übernahmen die Honneurs. Katharina und Markus bemühten sich redlich alle Details der einmaligen Zeremonie mit ihren Blicken zu erhaschen, hatten jedoch immer wieder Mühe durch die dicht gedrängten Körper ihrer Vordermänner und -frauen zu lugen.  Trotz des zeitweiligen Rempelns und Schubsens konnten sie verfolgen wie Lady Rumbold einen Hammer aus der bereit gestellten Kassette befreite und die beiliegende Schraube mit ein paar herzhaften Schlägen symbolisch in den Eisenträger schlug. Abermals stimmte die Kapelle die englische Volkshymne an und Tausende Menschen nahmen wie auf ein stummes Kommando hin ihre Hüte andächtig ab. Erst als Chef-Ingenieur Hitchins die schlagkräftige Lady mit einem dreimaligen „hipp, hipp, hurrah“ hochleben ließ, folgte die Menschenmenge

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (30) © 2009, Sonja Hubmann

In einem verwunschen wirkenden Seitenarm des Kanals erlagen sie einmal mehr dem magischen Zauber der Lagune. Während zu ihrer Rechten die hohen Steinwände eines Palazzos emporragten, versteckte sich zu ihrer Linken ein idyllisches Holzhäuschen mit palmenbegrüntem Innenhof. Das natürliche Blätterdach der hohen Praterbäume verlieh der ohnehin schon romantischen Szenerie noch zusätzliches Ambiente.  Vielleicht jetzt? Katharina erhoffte sich abermals einen Kuss ihres attraktiven Gefährten, musste aber schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass Markus seinen Blick bereits ans Ende der Lagune gerichtet hatte, wo auf einer Mauer „Täglich Grinzinger“ zu lesen war. Frechheit, dachte sie und ärgerte sich ein wenig darüber, dass ihn eine augenscheinliche Bierwerbung mehr als ihr Liebreiz zu fesseln vermochte. Nach ein paar Metern richteten sich aber auch ihre Augen wieder auf die eindrucksvolle Architektur der Palastfronten, die wie altertümliche Monumente aus dem Wasser ragten. „Diese ganze Kanalanl

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (29) © 2009, Sonja Hubmann

Doch just in jenem Moment wollte der temperamentvolle Venezianer, der so gekonnt die Holzstange führte und damit seine navigatorischen Künste unter Beweis stellte, wohl auch noch Lorbeeren für seine gesanglichen Qualitäten ernten, denn er stimmte mit ohrenbetäubender Lautstärke den neapolitanischen Gassenhauer „Funicula“ an. Markus und Katharina schenkten einander einen verstörten Blick und mussten plötzlich schmunzeln.  Der gutaussehende Gondoliere war dermaßen mit seinem Schöngesang beschäftigt, dass er fast vergaß den Kopf rechtzeitig einzuziehen, als er das Boot unter einer Brücke hindurch manövrierte. Katharina hoffte, dass das Lied nach maximal zwei Strophen enden und sich der enthusiastische Bariton nun endlich wieder voll und ganz dem Steuern widmen würde. Sie hatte Glück. Der dunkelhaarige Gondoliere hatte seinen bemühten Gesang eingestellt und beglückte seine beiden Insassen nun mit heiliger Ruhe.  Doch auch diese Idylle sollte nicht lange wehren. Als sie unter einer weiteren

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (28) © 2009, Sonja Hubmann

Nachdem sich die vier voneinander getrennt hatten, schlenderte Katharina mit vornehmer Zurückhaltung über weitere Brücken, die in hübschen Innenhöfen mündeten. Was Katharina ein bisschen irritierte, waren die vielen Holzleitern, die an die Hausmauern gelehnt waren. Vermutlich brauchte man diese um auch von außen rasch an Fensterläden und Dachgiebel zu kommen. Sie verkniff sich diese Frage allerdings, da ihr bereits eine wichtigere auf der Zunge brannte: „Wann beginnt das Jubiläumsfest?“  Markus zog seine silberne Taschenuhr zu Rate und überlegte halblaut: „Also, jetzt ist es 5 Uhr und die Feierlichkeiten werden bestimmt nicht vor 6 Uhr anfangen. Wir haben somit noch etwas Zeit.“  „Gut!“, antwortete Katharina und hoffte, dass Markus ihr den Vorschlag einer Gondelfahrt unterbreiten würde. Doch da kam zunächst einmal gar nichts. Kein Wort, kein Satz und schon gar kein derartiger Vorschlag.  Gerade als Markus etwas sagen wollte, war auch Katharina mit dem Anfang eines Satzes herausgeplatzt

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (27) © 2009, Sonja Hubmann

Emilie überblätterte gelangweilt die weiteren Stellenangebote und amüsierte sich stattdessen lieber über die Heiratsanzeigen. „Schau mal“, forderte sie Katharina grinsend auf, „der Heiratsantrag eines Adeligen: 30 Jahre, mit sehr gutem Einkommen sucht eine seiner Stellung gleichkommende Partie, tadelloses Vorleben!“  „Welches Vorleben meint er, seines oder das der Dame?“, schmunzelte Katharina, woraufhin Emilie herzhaft loslachte.  Die beiden Mädchen kicherten nach jeder gelesenen Annonce lauter, ohne sich dabei um die betretenen Blicke der vorbeigehenden Parkbesucher zu kümmern. Da Emilie vor Lachen keine Zeile mehr lesen konnte, übernahm dies nun Katharina, die ebenfalls Mühe hatte die Worte aneinander zu reihen: „Junger, fescher Ingenieur bietet Herz und Hand derjenigen Dame, die ihm mit 100 Gulden aus momentaner Verlegenheit hilft!“  Und wieder gackerten die beiden wie zwei junge Hühner drauflos. Ihr Lachanfall steigerte sich zum Furiosum als sie auf eine großformatige Anzeige stie

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (26) © 2009, Sonja Hubmann

An dem galanten Markus verweilten ihre Augen jedoch noch etwas länger, bis sie ihrer Freundin schließlich ein Kompliment machte: „Dein Verehrer ist wirklich herzallerliebst.“ Katharina senkte etwas nachdenklich den Blick und murmelte: „Eigentlich kenne ich ihn überhaupt nicht so wirklich.“ „Wie hast du ihn denn kennengelernt?“, interessierte sich Emilie mit neugierigem Unterton. Abermals stammelte Katharina verlegen: „Also, im Café Central, aber das war eher zufällig und dann ist er mir nochmal vor dem Eingang begegnet, wobei ich das Gefühl habe, dass ich ihn schon viel länger kenne.“  Emilie grinste etwas zweideutig: „Verliebt?“ Ihre Freundin konterte mit einem entschlossenen „Nein“, errötete dabei aber unfreiwillig, was Emilie zu einer weiteren Vermutung veranlasste: „Ich glaube, du wärst lieber mit alleine, oder?“ Katharina verneinte abermals, fügte dann aber geständig hinzu: „Aber so eine Gondelfahrt mit ihm durch die Kanäle könnte ich mir schon ganz gut vorstellen.“ Emilies Augen

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (25) © 2009, Sonja Hubmann

Nach zwei weiteren Schlagzeilen hatte seine Tochter nun aber endgültig genug von dieser fragmentarischen Vorlesung. Sie bat ihren Vater mit etwas quengelnder Stimme um die Zeitung: „Darf ich die Zeitung auch einmal haben?“ Mit leichtem Widerwillen übergab er Emilie das Papier. So, als wolle er sich für diesen Zeitungsraub rächen, fügte er noch gestreng hinzu: „Du kannst Dir die offenen Stellen durchlesen. Wer nicht heiraten will, der muss selbst Geld verdienen!“  Emilies Lese-Enthusiasmus war plötzlich wie weggeblasen. Lustlos blätterte sie in der „Neuen Freien Presse“. Währenddessen machte sich in Katharina allmählich leichtes Unbehagen in Bezug auf Markus breit. Sie hatte ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen, da er aus Gründen der Höflichkeit nicht einfach aufstehen und gehen konnte. Vielleicht war ihm die Gesellschaft von Emilie und ihrem Vater ja unangenehm? Katharina wäre noch zu gerne mit ihm alleine gewesen, aber im Augenblick sah es für eine eventuelle, traute Zweisamkeit schl

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (24) © 2009, Sonja Hubmann

Bevor die Diskussion aber heftiger zu werden drohte, schummelte sich Emilie zwischen den beiden hindurch und beklagte ihre müden Füße: „Papa, können wir uns kurz auf eine Bank setzen?“ Emilies Vater willigte ein, worüber sich auch Katharina erfreut zeigte. Die vier machten an der einzig freien Bank im Umkreis von etlichen hundert Metern Halt und entspannten ihre strapazierten Glieder.  Die beiden Mädchen hatten in der Mitte Platz genommen und bildeten somit eine natürliche Barriere zwischen Markus und Franz Lechner, der gerade im Begriff war eine Zeitung mit der Aufschrift „Neue Freie Presse“ aus der Innenseite seines Mantels hervorzuzaubern. Ohne Rücksichtnahme darauf, ob nun jemand die Neuigkeiten hören wollte oder nicht, begann er auszugsweise daraus vorzulesen: „Aha, die Beamtengehalte steigen schon wieder ab 1. Jänner nächsten Jahres.“  Er schnalzte dabei unzufrieden einige Male mit der Zunge, währenddessen er den Rest der Meldung unverständlich zu Ende murmelte. Seine dunkelbraun

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (23) © 2009, Sonja Hubmann

  Während die beiden Männer nun begannen über politische Themen zu diskutieren, hielten sich Emilie und Katharina ein wenig im Hintergrund, um sich über Herzensangelegenheiten zu unterhalten. „Jetzt, sag‘ schon, Katharina. Wer ist der junge Mann und woher kennst du ihn?“, begann Emilie das Verhör. Katharina senkte errötend den Blick und gestand: „Ich kenne ihn erst seit heute.“  „Was? Hast Du Dich einfach so von ihm ansprechen lassen?“, wollte Emilie schockiert wissen.  Katharina verteidigte sich postwendend: „Ich weiß, was Du jetzt denkst und dass sich das für eine junge Frau nicht schickt, aber ich habe das Gefühl, als würde ich ihn heute nicht zum ersten Mal sehen. Es ist beinahe so, als gäbe es da zwischen uns ein ganz tiefes, unsichtbares Band, wenn Du verstehst was ich meine.“ Emilie konnte das Geständnis ihrer Freundin kaum fassen: „Wissen Deine Eltern von ihm?“ „Nein, natürlich nicht. Sag‘ ihnen bitte nichts!“, bat Katharina sie um Verschwiegenheit. „Wie stellst Du Dir das vor?

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (22) © 2009, Sonja Hubmann

„Es ist wirklich sehr kühl für diese Jahreszeit.“, stellte Franz Lechner etwas fröstelnd fest. Markus, dem die Kälte weniger auszumachen schien, wollte dennoch etwas Positives einbringen: „Aber heute ist es auf jeden Fall besser als gestern. Diese Regenfälle waren ja ziemlich heftig.“  „Kein Wunder, dass man das Jubiläumsfest der Königin von gestern auf heute verschoben hat.“, meldete sich nun auch Emilie zu Wort.  In jenem Moment, als sich nun auch Katharina dazu äußern wollte, wurde sie von zwei umhertobenden Kindern nahezu umgerannt. Die kleinen Attentäter fanden es allerdings nicht der Mühe wert sich zu entschuldigen. Ausgelassen kreischend wirbelten sie durch die Menschenmenge, die entlang der Kanäle flanierte. Die energische Schelte von Herrn Lechner ging jedoch spurlos an den beiden Knirpsen vorüber. Katharina zupfte verlegen an ihrem nicht mehr ganz so taufrischen Kleid, das am unteren Saum mittlerweile einige Schmutzflecken aufwies.  Etwas mitgenommen seufzte sie: „Heute ist n