KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (24) © 2009, Sonja Hubmann

Bevor die Diskussion aber heftiger zu werden drohte, schummelte sich Emilie zwischen den beiden hindurch und beklagte ihre müden Füße: „Papa, können wir uns kurz auf eine Bank setzen?“ Emilies Vater willigte ein, worüber sich auch Katharina erfreut zeigte. Die vier machten an der einzig freien Bank im Umkreis von etlichen hundert Metern Halt und entspannten ihre strapazierten Glieder. 

Die beiden Mädchen hatten in der Mitte Platz genommen und bildeten somit eine natürliche Barriere zwischen Markus und Franz Lechner, der gerade im Begriff war eine Zeitung mit der Aufschrift „Neue Freie Presse“ aus der Innenseite seines Mantels hervorzuzaubern. Ohne Rücksichtnahme darauf, ob nun jemand die Neuigkeiten hören wollte oder nicht, begann er auszugsweise daraus vorzulesen: „Aha, die Beamtengehalte steigen schon wieder ab 1. Jänner nächsten Jahres.“ 

Er schnalzte dabei unzufrieden einige Male mit der Zunge, währenddessen er den Rest der Meldung unverständlich zu Ende murmelte. Seine dunkelbraunen Augen huschten auf die gegenüberliegende Seite. Auch diese Überschrift wollte er niemandem vorenthalten: „So, so …“, begann er seinen Vortrag, „… der König von Siam in Ischl … Chulalongkorn … aha, erkundigte sich nach der hiesigen Landwirtschaft … hm … besuchte er den Bezirkshauptmann von Gmunden …“, verstümmelte er die Information bis zu Unkenntlichkeit. 

Katharina war bei dem Namen „Chulalongkorn“ jedoch hellhörig geworden: „Äh, den König von Siam gibt es also wirklich?“, wunderte sie sich halblaut. Markus warf ihr einen verdutzten Blick zu: „Wieso sollte es ihn denn nicht geben?“ Katharina überlegte kurz und biss sich unschlüssig auf die Unterlippe: „Nun ja, ich verbinde das eher mit einem Theaterstück oder mit Musik?“ Nun begann auch Emilies Vater zu lachen: „Mit Musik? Nein, kleines Fräulein, der König von Siam hat kein Musikstück geschrieben.“ 

Katharina krallte sich verärgert über diese Verspottung in ihr blumenbesticktes Stofftäschchen. Warum nur hatte sie das Gefühl, dass sie diesen König schon einmal in einem Theaterstück gesehen hatte? Ihre Zusatzfrage, ob Chulalongkorn vielleicht eine Glatze hätte, verkniff sie sich allerdings in Anbetracht der schmählichen Reaktion. 

Herr Lechner fuhr unbeirrt in seiner Meldungsübersicht fort: „Schau, schau. Die Leiche des Pfarrers Kneipp wurde in die neue Leichenhalle nach Wörishofen überführt.“ "Seine Wassertherapien waren dann wohl doch nicht so gesund.“, warf Emilie lapidar ein. „Woran starb er?“, getraute sich Katharina eine neuerliche Frage zu stellen. Ohne den Blick von seiner Zeitung zu nehmen, brummte Emilies Vater einsilbig: „Krebs!“

(Ende Teil 24/ Fortsetzung folgt …)

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