KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (30) © 2009, Sonja Hubmann

In einem verwunschen wirkenden Seitenarm des Kanals erlagen sie einmal mehr dem magischen Zauber der Lagune. Während zu ihrer Rechten die hohen Steinwände eines Palazzos emporragten, versteckte sich zu ihrer Linken ein idyllisches Holzhäuschen mit palmenbegrüntem Innenhof. Das natürliche Blätterdach der hohen Praterbäume verlieh der ohnehin schon romantischen Szenerie noch zusätzliches Ambiente. 

Vielleicht jetzt? Katharina erhoffte sich abermals einen Kuss ihres attraktiven Gefährten, musste aber schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass Markus seinen Blick bereits ans Ende der Lagune gerichtet hatte, wo auf einer Mauer „Täglich Grinzinger“ zu lesen war. Frechheit, dachte sie und ärgerte sich ein wenig darüber, dass ihn eine augenscheinliche Bierwerbung mehr als ihr Liebreiz zu fesseln vermochte. Nach ein paar Metern richteten sich aber auch ihre Augen wieder auf die eindrucksvolle Architektur der Palastfronten, die wie altertümliche Monumente aus dem Wasser ragten.

„Diese ganze Kanalanlage stammt auch von dem Architekten Marmorek?“, keimte in Katharina nach längerem wieder eine Frage auf. Markus überlegte kurz: „Nun, nein.“ Er wusste, dass sich seine informationshungrige Begleiterin mit dieser mageren Antwort aber nicht zufriedengeben würde und dachte daher angestrengt nach, bis ihm tatsächlich der Name des Kanal-Herstellers einfiel: „Gustav Bruck“, kam es schließlich triumphierend über seine Lippen. Katharina quittierte diese bemühte Gedächtnisleistung aber nur mit einem profanen „Aha“.

Nachdem der dunkelhaarige Gondoliere ein weiteres Mal mit einem waghalsigen Manöver unter einer Brücke hindurch gesteuert war und sich über die „Bravo-Rufe“ der Schaulustigen am Kanalrand freuen durfte, wies Markus seine hübsche Begleiterin darauf hin, dass es allmählich an der Zeit war, sich zum Riesenrad zu begeben, da er den großen Festakt keinesfalls versäumen wollte. 

Die Fahrt führte sie noch am „Münchner Bürger Bräu“ und an einer italienischen Weinstube vorbei, in der sich zahlreiche Damen und Herren der Wiener Gesellschaft zu einem fröhlichen Beisammensein eingefunden hatten. Katharina bedauerte, dass dieser Gondelausflug nicht noch länger angedauert hatte, aber da sie natürlich ebenfalls an den Feierlichkeiten unter dem Riesenrad interessiert war, musste sie sich schweren Herzens mit dem Ende dieser Kanalpartie abfinden.

Die Fläche vor dem Riesenrad war bereits menschenvoll. Umso glücklicher waren die beiden Spätankömmlinge, dass sie doch noch gute Stehplätze in einer der vorderen Reihen gefunden hatten. Alle warteten nun in angespannter Vorfreude auf die Ankunft der Ehrengäste, für die man unterhalb des Riesenrades eine prachtvoll geschmückte Tribüne errichtet hatte. Und dann war es endlich soweit. Gegen 7 Uhr 30 traf der königliche Botschafter Sir Horace Rumbold mit seiner Gemahlin sowie zahlreichen Mitgliedern der Botschaft unter den Klängen der englischen Volkshymne im Englischen Garten ein. 

Unter dem Jubel der Menge konnte man kaum sein eigenes Wort verstehen. Dennoch versuchte Katharina es wieder einmal mit einer Frage, die sie aus Leibeskräften ihrem feschen Begleiter ins Ohr brüllte: „Wer sind denn all die Leute da vorne?“ Sie deutete auf den menschlichen Tross, der sich auf die Ehrentribüne zubewegte. Markus versuchte angestrengt über die feder- und blumengeschmückten Hüte der vor ihm stehenden Damen zu blicken und erstattete der Wissbegierigen schließlich Auskunft: „Nun, der Mann ganz links dürfte der englische Generalkonsul von Schöller sein und der neben ihm ist der frühere Generalkonsul Nathan!“ 

Markus reckte seinen Hals noch etwas höher und erspähte eine weitere, ihm bekannte Person: „Und das dort rechts ist Reverend William Hechler!“ Katharina zeigte sich einmal mehr mit der Auskunft zufrieden und harrte gebannt der Dinge die da noch auf sie zukommen sollten.

(Ende Teil 30 / Fortsetzung folgt …)

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