KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (22) © 2009, Sonja Hubmann

„Es ist wirklich sehr kühl für diese Jahreszeit.“, stellte Franz Lechner etwas fröstelnd fest. Markus, dem die Kälte weniger auszumachen schien, wollte dennoch etwas Positives einbringen: „Aber heute ist es auf jeden Fall besser als gestern. Diese Regenfälle waren ja ziemlich heftig.“ „Kein Wunder, dass man das Jubiläumsfest der Königin von gestern auf heute verschoben hat.“, meldete sich nun auch Emilie zu Wort. 

In jenem Moment, als sich nun auch Katharina dazu äußern wollte, wurde sie von zwei umhertobenden Kindern nahezu umgerannt. Die kleinen Attentäter fanden es allerdings nicht der Mühe wert sich zu entschuldigen. Ausgelassen kreischend wirbelten sie durch die Menschenmenge, die entlang der Kanäle flanierte. Die energische Schelte von Herrn Lechner ging jedoch spurlos an den beiden Knirpsen vorüber. Katharina zupfte verlegen an ihrem nicht mehr ganz so taufrischen Kleid, das am unteren Saum mittlerweile einige Schmutzflecken aufwies. 

Etwas mitgenommen seufzte sie: „Heute ist nicht gerade mein Glückstag. Auf dem Weg hierher wäre ich beinahe von einem Einspänner überrollt worden und kurz darauf hätte mich fast ein Radfahrer gerammt.“ „Die fahren ja auch immer dreister auf ihren Drahteseln.“, echauffierte sich Emilie, die offenbar ähnliches erlebt hatte. Markus schien allerdings nur das Wort „Radfahrer“ so richtig mitbekommen zu haben, da er sich bei Franz Lechner nach den neuesten Rädern erkundigte: „Ich trage mich auch mit der Absicht ein Fahrrad zu erwerben, kann mich aber nicht so recht entscheiden. Was meinen Sie, soll ich lieber ein Regent-Rad, ein Diana-Fahrrad oder eines der Marke Styria kaufen?“ 

Emilies Vater zog seinen schwarzen Zylinder ein wenig tiefer in die Stirn und überlegte halblaut: „Nun, beim Wiener Derby gewann in diesem Jahr Büchner auf einem Styria-Rad. Das scheint mir sehr verlässlich und robust zu sein.“ Markus nickte: „Ja, ich glaube, dass im auch im vorigen Jahr jemand mit einem Styria-Rad gewonnen hat. War das nicht Huet?“ „Ja, ganz genau!“, lautete die konfirmierende Antwort, was Markus sofort zu einer weiteren Frage veranlasste: „Und wo könnte ich eine gute Radfahr-Ausrüstung erhalten?“ 

Abermals dachte der adrett gekleidete Mitfünfziger nach, ehe er einen Tipp hatte: „Also, in der Wallfischgasse gibt es ein riesiges Schuh-Etablissement. Wie heißt es doch schnell? Ah, Robert Schlesinger! Dort werden Sie bestimmt fündig.“ Da sich Emilie jedoch so gar nicht für Radsport interessierte, wechselte sie mit einer Wissensfrage gekonnt das Thema: „Monsieur Friedmann, haben Sie vielleicht schon die „lebende Photographie“ gesehen?“ 

In Katharinas Augen blitzten schon wieder einmal Tausende kleiner Fragezeichen auf. Lebende Fotografie? Was war das denn? Aber Markus wusste auch darüber Bescheid.
„Ja, ich war letzte Woche im Cinémathographe in der Kärntner Straße. Das war unglaublich!“, verkündete er stolz. Katharina wollte nun endlich wissen, was es damit auf sich hatte: „Was war unglaublich?“ 

Emilie erwies sich als eine Spur schneller in der Antwortgebung: „Na, unglaublich ist, dass die Bilder angeblich so schnell laufen, dass es total lebendig aussieht. Ich möchte das auch gerne einmal sehen.“, bat sie ihren Vater, der sich bei dem sympathischen jungen Mann nach dem Preis der Vorführung erkundigte. „50 Kreuzer!“, lautete die Antwort. Neugierig geworden, drängte Katharina nun auf eine genauere Erklärung: „Und was gibt es dort zu sehen?“ 

Markus teilte den anderen sein Erlebnis offenherzig mit: „Nun, die Werke der Herren August und Louis Lumière aus Lyon. Zuerst wird der Saal verdunkelt und dann werden die Bilder auf eine weiße Wand projiziert. Es war wirklich sehr realistisch. Es wurde gezeigt wie eine Mauer einstürzt und ein Zug ankommt. Das hat einige Zuseher fast zu Tode erschreckt, da es so aussah, als würde der Zug direkt aus der Wand kommen. Beängstigend!“, resümierte Markus voller Begeisterung, wobei er das Gesagte mit ausladenden Gesten unterstrichen hatte.

(Ende Teil 22/ Fortsetzung folgt …)

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