KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (28) © 2009, Sonja Hubmann

Nachdem sich die vier voneinander getrennt hatten, schlenderte Katharina mit vornehmer Zurückhaltung über weitere Brücken, die in hübschen Innenhöfen mündeten. Was Katharina ein bisschen irritierte, waren die vielen Holzleitern, die an die Hausmauern gelehnt waren. Vermutlich brauchte man diese um auch von außen rasch an Fensterläden und Dachgiebel zu kommen. Sie verkniff sich diese Frage allerdings, da ihr bereits eine wichtigere auf der Zunge brannte: „Wann beginnt das Jubiläumsfest?“ 

Markus zog seine silberne Taschenuhr zu Rate und überlegte halblaut: „Also, jetzt ist es 5 Uhr und die Feierlichkeiten werden bestimmt nicht vor 6 Uhr anfangen. Wir haben somit noch etwas Zeit.“ „Gut!“, antwortete Katharina und hoffte, dass Markus ihr den Vorschlag einer Gondelfahrt unterbreiten würde. Doch da kam zunächst einmal gar nichts. Kein Wort, kein Satz und schon gar kein derartiger Vorschlag. 

Gerade als Markus etwas sagen wollte, war auch Katharina mit dem Anfang eines Satzes herausgeplatzt: „Wir könnten vielleicht …“, stoppte sie plötzlich ihr Ansinnen, da auch Markus mit einer ähnlichen Variante begonnen hatte. Er ließ ihr aber in galanter Weise den Vortritt und so musste wohl oder übel auch noch der Rest des Satzes über ihre Lippen: „Nun, ich dachte wir könnten vielleicht eine Fahrt mit der Gondel unternehmen, falls es nicht zu kostspielig ist.“, fügte sie rasch hinzu. Markus ignorierte den letzten Teil ihres Ansinnens und lächelte zustimmend: „Genau diesen Vorschlag wollte ich gerade machen. Wenn Sie mir den Gefallen erweisen würden, mit mir in die Gondel zu steigen?“

„Ja, gerne!“, schossen die Worte aus ihrem Mund, die sie dadurch etwas abzuschwächen versuchte, indem sie ihren Blick keusch zu Boden wandern ließ. Sie beschritten einmal mehr die malerischen Gäßchen und Brückenbögen, unter denen sich das Wasser der schier endlos scheinenden Kanäle durchschlängelte. Am Ende der mit stilvollen Bauten gezierten Wasserstraße befand sich ein geräumiges Bassin, wo reich geschmückte Gondeln nur darauf warteten, ihre elegant gekleideten Fahrgäste durch die Lagunenstadt zu navigieren.  

Der Anlegesteg, an dem ein kleines Häuschen mit der Aufschrift „Gondel Cassa“ zu lesen war, verriet ihnen, dass sie nun ihr vorläufiges Ziel erreicht hatten. In der Gondel sah Katharina dann auch noch etwas, wonach sie sich schon den ganzen kühlen Nachmittag über gesehnt hatte: Eine warme Wolldecke. Markus geleitete sie ins Innere des wackeligen Bootes und half ihr sich zu setzen. Die dunkelgraue Decke war zum Glück so groß, dass auch noch Markus die Hälfte davon um seinen Rücken schwingen konnte. Dass sie dabei allerdings etwas dichter aneinanderrücken mussten, wertete Katharina als willkommene Laune des Schicksals. 

Sie fühlte die Wärme seines Körpers und genoss die Nähe des attraktiven Jungen, den sie um zwei bis drei Jahre älter schätzte, als sie es war. Der venezianische Bootsführer manövrierte in gekonnter Manier die Gondel in Fahrtposition und stieß sich schwungvoll mit dem Fuß von der Kaimauer ab. Schon nach wenigen Metern Fahrt vollführte er dasselbe artistische Kunststück an einer vorüber schaukelnden Gondel, wobei er mit dem steuerbordseitigen Ruderstab, dem Remo, das wackelige Boot auf Kurs hielt. 

Hin und wieder rief er den entgegenkommenden Gondolieri etwas auf Italienisch zu, das den jeweils anderen wohl zum Ausweichen oder Stehenbleiben veranlassen sollte. Katharina bewunderte das kunstvolle Kostüm ihres Bootsführers und leitete wieder einmal eine neue Fragerunde ein: „Woher stammen diese herrlichen Roben?“, wollte sie von Markus wissen. Dieser drückte sie näher an sich und erläuterte charmant: „Die wurden, man soll’s ja gar nicht für möglich halten, hier in Wien geschneidert, nach den Entwürfen des Meisters Gaul. Eine hervorragende Arbeit!“, lobte er die Künste der Wiener Manufaktur. 

Zufriedengestellt wunderte sich Katharina nun über eine andere Sache: „Über wie viele Kilometer mag sich dieses ganze Gebiet wohl erstrecken?“ „Also das gesamte Gelände ist bestimmt mehr als 5000 m² groß. Die Kanäle dürften so ungefähr einen Kilometer Länge haben.“, schätze Markus auskunftsfreudig, was seine zufriedene Zuhörerin damit belohnte, dass sie sich nun etwas weniger verkrampft in seine Arme schmiegte. 

Am liebsten hätte Katharina die Zeit angehalten, jetzt in diesem Augenblick. Sie nahm das unaufhörliche Plätschern des Wassers wahr, die Musik, die sanft über die Wellen glitt und das Stimmengewirr der Flanierer, die nun bestimmt schon zu Tausenden durch den Park streiften. Nachdem Katharina die kunstvoll gestalteten Gondeln minutenlang bewundert hatte, schloss sie die Augen, um dieses Bild für immer in ihrem Gedächtnis abzuspeichern.

(Ende Teil 28 / Fortsetzung folgt …)

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