KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (23) © 2009, Sonja Hubmann

 Während die beiden Männer nun begannen über politische Themen zu diskutieren, hielten sich Emilie und Katharina ein wenig im Hintergrund, um sich über Herzensangelegenheiten zu unterhalten. „Jetzt, sag‘ schon, Katharina. Wer ist der junge Mann und woher kennst du ihn?“, begann Emilie das Verhör. Katharina senkte errötend den Blick und gestand: „Ich kenne ihn erst seit heute.“ „Was? Hast Du Dich einfach so von ihm ansprechen lassen?“, wollte Emilie schockiert wissen. 

Katharina verteidigte sich postwendend: „Ich weiß, was Du jetzt denkst und dass sich das für eine junge Frau nicht schickt, aber ich habe das Gefühl, als würde ich ihn heute nicht zum ersten Mal sehen. Es ist beinahe so, als gäbe es da zwischen uns ein ganz tiefes, unsichtbares Band, wenn Du verstehst was ich meine.“ Emilie konnte das Geständnis ihrer Freundin kaum fassen: „Wissen Deine Eltern von ihm?“ „Nein, natürlich nicht. Sag‘ ihnen bitte nichts!“, bat Katharina sie um Verschwiegenheit. „Wie stellst Du Dir das vor? Mein Vater wird Deinem Vater bestimmt von der Begegnung erzählen. Immerhin dachten sie, Du würdest mit uns hierherkommen und nicht mit einem wildfremden Mann!“

„Aber, kann Dein Vater meinen Eltern nicht einfach sagen, dass ich mit euch unterwegs war? Dass wir ihn zufällig kennen gelernt haben?“, hechelte Katharina etwas kurzatmig. Emilie schluckte begeisterungslos und verzog die Mundwinkel: „Ich weiß nicht …“, drückte sie unwillig herum und betrachtete dabei ihre immer noch schwer atmende Freundin und erkundigte sich besorgt, „Was hast Du?“ Katharina griff sich kurz an die Taille und gab sofort Entwarnung: „Ach, mein Mieder sitzt heute wohl ein bisschen eng. Irgendwie habe ich das Gefühl, als hätte ich noch nie zuvor eines getragen. Komisch, oder?“ „Allerdings!“, stimmte Emilie stirnrunzelnd zu. 

Als die beiden wieder zu ihren männlichen Begleitern aufgeschlossen hatten, bekamen sie beiläufig deren Gespräch mit. Emilies Vater lobte gerade die technischen Errungenschaften: „Jetzt fährt die Elektrische Tramway bis zum Praterstern und das ist bestimmt erst der Anfang. Ich glaube, dass unser Bürgermeister Lueger den Stadtbau noch weiter vorantreiben wird. Der Mann hat Ehrgeiz und Weitblick!“ 

Markus äußerte sich dazu etwas verhaltener: „Man wird sehen, ob der Lueger all seine Programmpunkte umsetzen können wird. Mich stört ein bisschen, dass er immer wieder seine antisemitischen Reden hält. Ich glaube nicht, dass die jüdischen Bürger für alle Probleme verantwortlich gemacht werden können!“ „Die jüdische Gemeinde ist in den letzten Jahrzehnten stetig angewachsen. Wir haben jetzt an die 150.000 Juden in Wien. Das sind mehr als genug. Genau genommen wäre Lueger ja schon im Vorjahr Bürgermeister von Wien geworden, aber dies wurde ihm ja von Seiner Majestät höchstpersönlich verwehrt.“, beklagte der offensichtliche Sympathisant der christlich-sozialen Partei. 

Markus wollte dies aber nicht ganz unwidersprochen stehen lassen: „Schauen Sie, der Lueger hat doch dieses Amt bei der berühmten Audienz vom 27. April 1896 selbst abgelehnt, angeblich aus Loyalität und Treue zum Kaiser.“ „Er hatte doch keine andere Wahl. Sein permanenter Gegenspieler, der Ministerpräsident Graf Badeni, hat ihn ja förmlich dazu gezwungen. Die Audienz war dann nur noch eine Art Formsache. Dem kaiserlichen Wunsch musste er doch Folge leisten!“, argumentierte Franz Lechner angeregt, doch schon wieder entgegnete sein junger Kontrahent beherzt: „Ich finde, der Kaiser hätte aber auch in diesem Jahr seine Wahl zum Bürgermeister ablehnen müssen, denn die Ansichten von Lueger haben sich seit dem Vorjahr kein bisschen verändert.“ 

Nun ergriff abermals der bekennende Lueger-Anhänger das Wort: „Finden Sie etwa Badenis Ansichten besser? Diese Sprachverordnungen für Böhmen und Mähren sind doch wahrlich absurd. Weshalb sollen deutschsprachige Beamte jetzt tschechisch lernen?“, spielte er auf die strittige Verordnung des aus Galizien stammenden Ministerpräsidenten an. „Aber er hat diese Zugeständnisse doch hauptsächlich gemacht, um damit die Forderungen der Jungtschechen zu erfüllen, ohne deren Mandat er keine Mehrheit im Reichsrat zustande gebracht hätte.“, wagte Markus einen Erklärungsversuch und erhielt dafür postwendend das Kontra seines uneinsichtigen Diskussionspartners: „Das ist doch in Wahrheit nichts weiter als eine versteckte Anerkennung des Böhmischen Staatsrechtes, mehr nicht!“, wetterte Herr Lechner und wartete gar nicht erst auf eine Antwort. Aufgebracht fügte er rasch hinzu: „Ich finde, die deutsche Sprache sollte die allein Gültige sein!“ 

Markus konnte nicht verstehen, wie jemand nur so intolerant sein konnte und knurrte etwas ärgerlich: „Der Meinung bin ich nicht! Was ist denn so schlimm an Zweisprachigkeit? Die Monarchie ist nun einmal ein Vielvölkerstaat und da gibt es nichts Alleingültiges!“ „Und was ist mit dem Schönerer? Der ist für die Aufhebung der Donaumonarchie und den Anschluss an das Deutsche Reich!“, lautete seine etwas ruppige Replik. Markus schluckte ein wenig perplex und stammelte: „Nun, der Schönerer ist nicht nur radikal, sondern – mit Verlaub gesagt – auch ein Irrsinniger. Seine Äußerungen in Bezug auf Rassenreinheit sind ja ungeheuerlich!“ 

Franz Lechner schenkte ihm daraufhin aber nur ein gelangweiltes Brummen: „Egal, der Lueger ist Bürgermeister und das ist gut so. Er wird’s mit den Juden, Tschechen und Polen schon richtig machen.“ Markus musterte sein Gegenüber mit strengem Blick und versuchte abermals eine Kritik anzubringen: „Wie können Sie das sagen? Ohne diese Minoritäten würde es schlecht um unsere Kultur bestellt sein. Denken Sie doch nur an die Theater, an die Schriftsteller und Musiker!“

„Aber denken Sie nur an die Rothschilds oder die Reitzes! Die einen kontrollieren die Österreichischen Eisenbahnen und die anderen die Wiener Tramway, ganz zu schweigen von den Wiener Tageszeitungen, die fest in jüdischer Hand sind!“, argumentierte Franz Lechner immer noch aufgebracht.

(Ende Teil 23/ Fortsetzung folgt …)

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