Während die beiden
Männer nun begannen über politische Themen zu diskutieren, hielten sich Emilie
und Katharina ein wenig im Hintergrund, um sich über Herzensangelegenheiten zu
unterhalten. „Jetzt, sag‘ schon, Katharina. Wer ist der junge Mann und woher kennst
du ihn?“, begann Emilie das Verhör. Katharina senkte errötend den Blick und
gestand: „Ich kenne ihn erst seit heute.“ „Was? Hast Du Dich einfach so von ihm ansprechen lassen?“, wollte Emilie schockiert
wissen.
Katharina verteidigte sich postwendend: „Ich weiß, was Du jetzt denkst
und dass sich das für eine junge Frau nicht schickt, aber ich habe das Gefühl,
als würde ich ihn heute nicht zum ersten Mal sehen. Es ist beinahe so, als gäbe
es da zwischen uns ein ganz tiefes, unsichtbares Band, wenn Du verstehst was
ich meine.“ Emilie konnte das Geständnis ihrer Freundin kaum fassen: „Wissen
Deine Eltern von ihm?“ „Nein, natürlich nicht. Sag‘ ihnen bitte nichts!“, bat
Katharina sie um Verschwiegenheit. „Wie stellst Du Dir das vor? Mein Vater wird
Deinem Vater bestimmt von der Begegnung erzählen. Immerhin dachten sie, Du würdest
mit uns hierherkommen und nicht mit einem wildfremden Mann!“
„Aber, kann Dein Vater meinen Eltern nicht einfach sagen, dass ich mit euch
unterwegs war? Dass wir ihn zufällig kennen gelernt haben?“, hechelte Katharina
etwas kurzatmig. Emilie schluckte begeisterungslos und verzog die Mundwinkel:
„Ich weiß nicht …“, drückte sie unwillig herum und betrachtete dabei ihre immer
noch schwer atmende Freundin und erkundigte sich besorgt, „Was hast Du?“ Katharina
griff sich kurz an die Taille und gab sofort Entwarnung: „Ach, mein Mieder sitzt
heute wohl ein bisschen eng. Irgendwie habe ich das Gefühl, als hätte ich noch
nie zuvor eines getragen. Komisch, oder?“ „Allerdings!“, stimmte Emilie
stirnrunzelnd zu.
Als die beiden wieder zu ihren männlichen Begleitern aufgeschlossen hatten, bekamen
sie beiläufig deren Gespräch mit. Emilies Vater lobte gerade die technischen Errungenschaften:
„Jetzt fährt die Elektrische Tramway bis zum Praterstern und das ist bestimmt erst
der Anfang. Ich glaube, dass unser Bürgermeister Lueger den Stadtbau noch
weiter vorantreiben wird. Der Mann hat Ehrgeiz und Weitblick!“
Markus äußerte
sich dazu etwas verhaltener: „Man wird sehen, ob der Lueger all seine Programmpunkte
umsetzen können wird. Mich stört ein bisschen, dass er immer wieder seine
antisemitischen Reden hält. Ich glaube nicht, dass die jüdischen Bürger für
alle Probleme verantwortlich gemacht werden können!“ „Die jüdische Gemeinde ist in den letzten Jahrzehnten stetig angewachsen. Wir
haben jetzt an die 150.000 Juden in Wien. Das sind mehr als genug. Genau genommen
wäre Lueger ja schon im Vorjahr Bürgermeister von Wien geworden, aber dies wurde
ihm ja von Seiner Majestät höchstpersönlich verwehrt.“, beklagte der offensichtliche
Sympathisant der christlich-sozialen Partei.
Markus wollte dies aber nicht ganz
unwidersprochen stehen lassen: „Schauen Sie, der Lueger hat doch dieses Amt bei
der berühmten Audienz vom 27. April 1896 selbst abgelehnt, angeblich aus
Loyalität und Treue zum Kaiser.“ „Er hatte doch keine andere Wahl. Sein permanenter Gegenspieler, der Ministerpräsident
Graf Badeni, hat ihn ja förmlich dazu gezwungen. Die Audienz war dann nur noch
eine Art Formsache. Dem kaiserlichen Wunsch musste er doch Folge leisten!“,
argumentierte Franz Lechner angeregt, doch schon wieder entgegnete sein junger
Kontrahent beherzt: „Ich finde, der Kaiser hätte aber auch in diesem Jahr seine
Wahl zum Bürgermeister ablehnen müssen, denn die Ansichten von Lueger haben
sich seit dem Vorjahr kein bisschen verändert.“
Nun ergriff abermals der
bekennende Lueger-Anhänger das Wort: „Finden Sie etwa Badenis Ansichten besser?
Diese Sprachverordnungen für Böhmen und Mähren sind doch wahrlich absurd. Weshalb
sollen deutschsprachige Beamte jetzt tschechisch lernen?“, spielte er auf die strittige
Verordnung des aus Galizien stammenden Ministerpräsidenten an. „Aber er hat diese Zugeständnisse doch hauptsächlich gemacht, um damit die
Forderungen der Jungtschechen zu erfüllen, ohne deren Mandat er keine Mehrheit
im Reichsrat zustande gebracht hätte.“, wagte Markus einen Erklärungsversuch
und erhielt dafür postwendend das Kontra seines uneinsichtigen Diskussionspartners:
„Das ist doch in Wahrheit nichts weiter als eine versteckte Anerkennung des Böhmischen
Staatsrechtes, mehr nicht!“, wetterte Herr Lechner und wartete gar nicht erst auf
eine Antwort. Aufgebracht fügte er rasch hinzu: „Ich finde, die deutsche Sprache
sollte die allein Gültige sein!“
Markus konnte nicht verstehen, wie jemand nur
so intolerant sein konnte und knurrte etwas ärgerlich: „Der Meinung bin ich
nicht! Was ist denn so schlimm an Zweisprachigkeit? Die Monarchie ist nun
einmal ein Vielvölkerstaat und da gibt es nichts Alleingültiges!“ „Und was ist mit dem Schönerer? Der ist für die Aufhebung der Donaumonarchie
und den Anschluss an das Deutsche Reich!“, lautete seine etwas ruppige Replik.
Markus schluckte ein wenig perplex und stammelte: „Nun, der Schönerer ist nicht
nur radikal, sondern – mit Verlaub gesagt – auch ein Irrsinniger. Seine
Äußerungen in Bezug auf Rassenreinheit sind ja ungeheuerlich!“
Franz Lechner schenkte
ihm daraufhin aber nur ein gelangweiltes Brummen: „Egal, der Lueger ist Bürgermeister
und das ist gut so. Er wird’s mit den Juden, Tschechen und Polen schon richtig
machen.“ Markus musterte sein Gegenüber mit strengem Blick und versuchte abermals
eine Kritik anzubringen: „Wie können Sie das sagen? Ohne diese Minoritäten würde
es schlecht um unsere Kultur bestellt sein. Denken Sie doch nur an die Theater,
an die Schriftsteller und Musiker!“
„Aber denken Sie nur an die Rothschilds oder die Reitzes! Die einen kontrollieren
die Österreichischen Eisenbahnen und die anderen die Wiener Tramway, ganz zu
schweigen von den Wiener Tageszeitungen, die fest in jüdischer Hand sind!“,
argumentierte Franz Lechner immer noch aufgebracht.
(Ende Teil 23/ Fortsetzung folgt …)
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