KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (29) © 2009, Sonja Hubmann

Doch just in jenem Moment wollte der temperamentvolle Venezianer, der so gekonnt die Holzstange führte und damit seine navigatorischen Künste unter Beweis stellte, wohl auch noch Lorbeeren für seine gesanglichen Qualitäten ernten, denn er stimmte mit ohrenbetäubender Lautstärke den neapolitanischen Gassenhauer „Funicula“ an. Markus und Katharina schenkten einander einen verstörten Blick und mussten plötzlich schmunzeln. 

Der gutaussehende Gondoliere war dermaßen mit seinem Schöngesang beschäftigt, dass er fast vergaß den Kopf rechtzeitig einzuziehen, als er das Boot unter einer Brücke hindurch manövrierte. Katharina hoffte, dass das Lied nach maximal zwei Strophen enden und sich der enthusiastische Bariton nun endlich wieder voll und ganz dem Steuern widmen würde. Sie hatte Glück. Der dunkelhaarige Gondoliere hatte seinen bemühten Gesang eingestellt und beglückte seine beiden Insassen nun mit heiliger Ruhe. 

Doch auch diese Idylle sollte nicht lange wehren. Als sie unter einer weiteren Brücke hindurch schipperten vernahmen sie plötzlich eine beißende Frauenstimme, die wütend drauflosschimpfte: „Ich empfinde dies als eine ungeheure Niedertracht! Wie kann ein Ehrenmann nur so gemein sein?“ Fast wie auf Kommando reckten Markus und Katharina ihre Hälse in jene Richtung aus der diese Vorwürfe gekommen waren. Zunächst konnten sie nur einen übergroßen, federgeschmückten Hut erkennen, dann aber bemerkten sie, dass sich darunter auch noch die hochgesteckten Locken einer attraktiven Schwarzhaarigen verbargen, die erzürnt einen weißen Damenschirm auf das Brückengelände schlug. 

Katharinas Verdacht bestätigte sich. Es handelte sich um jene Person, die sie heute Mittag mit Markus im Café Central angetroffen hatte. Wie war noch ihr Name? Gerade als Katharina über die Nämlichkeit der tobenden Dame nachdachte, rief Markus aus voller Brust in Richtung Brücke: „Agatha, es tut mir leid, aber versteh‘ doch: Wir beide sind nicht für einander bestimmt!“ Agatha machten diese Worte aber nur noch wütender. 

Sie schleuderte ihren Schirm nach der Gondel, in der Katharina und Markus immer noch umschlungen saßen, verfehlte das Zielobjekt jedoch um Längen und musste mit ansehen wie ihr rüschenbestickter Parapluie hilflos im Kanal ertrank. „Das wirst Du mir büßen! Ich werde mit meinem Vater sprechen. Das hat ein Nachspiel!“, prophezeite sie ihm energisch und versuchte dabei die schadenfrohen Blicke der zahlreichen Schaulustigen zu ignorieren. 

Der Gondoliere, den dieses kurze Intermezzo sichtlich amüsiert hatte, zeigte sich nun aber durch besonders flinke Remoschläge bemüht, der Gefahrenzone zu entrinnen. Offenbar plagte ihn die Angst, doch noch Opfer eines fliegenden Schirms oder anderer Gegenstände zu werden. Die keifenden Flüche des gereizten Fräuleins wurden mit jedem zurückgelegten Meter leiser, bis sie schließlich in einiger Entfernung ganz verstummten. 

Markus schluckte betroffen und entschuldigte sich bei seiner leicht indignierten Begleiterin: „Mademoiselle Katharina, es tut mir leid, dass Sie gerade Zeugin dieser unschönen Szene geworden sind.“ Katharina blickte ihm tief in seine kobaltblauen Augen und zeigte sich verständnisvoll: „Es ist ja nicht Ihre Schuld.“, hauchte sie verzeihend. Am liebsten hätte sie ihn in diesem Augenblick geküsst, aber der Anstand gebot ihr, dies nicht in aller Öffentlichkeit zu tun. Stattdessen drückte sie sich noch ein paar Zentimeter an ihn heran und fühlte, dass er ihr Bedürfnis nach Nähe gerne erwiderte.

(Ende Teil 29 / Fortsetzung folgt …)

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