KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (26) © 2009, Sonja Hubmann

An dem galanten Markus verweilten ihre Augen jedoch noch etwas länger, bis sie ihrer Freundin schließlich ein Kompliment machte: „Dein Verehrer ist wirklich herzallerliebst.“ Katharina senkte etwas nachdenklich den Blick und murmelte: „Eigentlich kenne ich ihn überhaupt nicht so wirklich.“ „Wie hast du ihn denn kennengelernt?“, interessierte sich Emilie mit neugierigem Unterton. Abermals stammelte Katharina verlegen: „Also, im Café Central, aber das war eher zufällig und dann ist er mir nochmal vor dem Eingang begegnet, wobei ich das Gefühl habe, dass ich ihn schon viel länger kenne.“ 

Emilie grinste etwas zweideutig: „Verliebt?“ Ihre Freundin konterte mit einem entschlossenen „Nein“, errötete dabei aber unfreiwillig, was Emilie zu einer weiteren Vermutung veranlasste: „Ich glaube, du wärst lieber mit alleine, oder?“ Katharina verneinte abermals, fügte dann aber geständig hinzu: „Aber so eine Gondelfahrt mit ihm durch die Kanäle könnte ich mir schon ganz gut vorstellen.“ Emilies Augen weiteten sich bei diesem Geständnis: „Das ist aber ein ganz schön unzüchtiger Gedanke.“, wies ihre Freundin sie auf dieses unmoralische Ansinnen hin. 

Katharina schenkte ihr einen bösen Blick und verteidigte sich: „Eine Gondelfahrt ist doch nichts Unzüchtiges!“ „Na ja, aber ich verstehe Dich nur zu gut“, lenkte Emilie ein und fuhr fort, „mein Vater will mich mit diesem aufgeblasenen Sohn des Postvorstehers vermählen, aber er kann mich genauso wenig leiden wie ich ihn. Viel lieber würde ich mich mit dem Sohn des Gemüsehändlers treffen. Der ist so charmant und so liebenswürdig und herzallerliebst.“, schwärmte Emilie überschwänglich. 

Katharina schüttelte fassungslos den Kopf: „Du bist doch sowieso noch viel zu jung, um zu heiraten!“ Emilie seufzte zustimmend: „Das schon, aber da ich sowieso nie und nimmer heiraten möchte, schon gar nicht diesen aufgeblasenen Postvorsteher-Sohn, will mich mein Vater jetzt zu einer Lehre zwingen.“ Katharina zuckte belanglos die Achseln: „Ist doch nicht so schlimm, oder? Immerhin noch besser als sich mit jemandem zu verloben, den man gar nicht leiden kann.“ „Stimmt“, nickte Emilie und fügte noch erklärend hinzu: „Das mit der Lehrstelle war ursprünglich die Idee meiner Mutter. Na ja, auch nicht so glorreich, aber was soll’s.“

Gemeinsam lasen die beiden nun mehr oder weniger interessiert die Stellenanzeigen, die sich in weiblich und männlich gesuchtes Personal teilten. Während Emilie die Offerte für Frauen inspizierte, lugte Katharina insgeheim auf die Männerberufe. Da suchte man beispielsweise einen Gärtner oder einen Verzinker. Verzinker? Katharina blickte kurz auf und überlegte angestrengt, was denn wohl ein Verzinker sein könnte. Sie war sicher, diese Berufsbezeichnung noch nie in ihrem Leben gehört zu haben. Sie enthielt sich aber der Frage und las weiter. 

Aha, ein tüchtiger Comptorist wurde ebenfalls gesucht. Gerade als sie wieder über dieses Berufsbild nachdenken wollte, entdeckte sie den Zusatz „der Buchführung mächtig“. Alles klar. Sie wunderte sich über diese eigenartigen Ausdrücke, die hier in der Zeitung standen. Sie musste doch schon viele derartige Inserate gelesen haben. Ein weiteres Stellengesuch warb um Praktikanten, die nicht nur aus anständigen Häusern kommen, sondern auch christlichen Glaubens sein sollten. Komisch, dachte sie bei sich. Welche Rolle spielte denn die Religion bei der Jobsuche? 

Sie seufzte kurz und erkundigte sich bei Emilie: „Hast Du schon etwas gefunden?“ „Nein“, lautete die leicht genervte Antwort ihrer Sitznachbarin. Katharina tippte mit ihrem Finger auf eine wie ihr schien passable Anzeige: „Hier, die suchen ein Lehrmädchen aus ordentlichem Hause. Das bist Du doch“, vergewisserte sie sich mit einem schelmischen Zwinkern, ehe sie ergänzte, „und Christin bist Du auch, richtig?“ „Ja, schon, aber da steht überhaupt nicht, was verlangt wird. Ich will ja nicht irgendeine Lehre machen. Ein bisschen interessieren sollte mich der Beruf schon.“, jammerte Emilie ablehnend. 

Diesmal wollte Katharina nun aber doch wissen, weshalb Christen so gefragt waren. Ihre Freundin antwortete unbekümmerte: „Manche wollen eben keine Juden, Tschechen, Kroaten oder Bosnier, was ich verstehen kann.“ „Warum?“, wollte Katharina unbedarft wissen. Ihre Sitznachbarin musterte sie mit hochgezogener Braue und lachte schließlich nach einer kurzen Kunstpause zynisch auf: „Ha, du bist heute wieder lustig. Wir haben von diesem Gesindel doch schon mehr als genug in der Stadt. Aber egal, Hauptsache, wir Christen kriegen die Arbeitsplätze!“ 

Katharina zog es vor, dies unkommentiert zu lassen und sich wieder auf den Anzeigenteil der Zeitung zu konzentrieren, wobei ihr schon das nächste Inserat ins Auge sprang: „Und was ist damit? – Feines Stubenmädchen gesucht!“ Doch auch dieser gut gemeinte Vorschlag gefiel Emilie ganz und gar nicht, ebenso wenig sah sie sich als „geübte Schoßennäherin“ oder als „gesundes Kindermädchen“. Auch Köchin und Haushälterin schienen so gar nicht nach ihrem Geschmack zu sein. 

Das kleine Stellengesuch in der unteren Ecke, in dem man ein „starkes Extramädchen“ suchte, las Katharina ihr gar nicht erst vor. Was sollte dieses arme Extramädchen denn machen, etwa Möbel durch die Gegend schleppen?

(Ende Teil 26 / Fortsetzung folgt …)

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