KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (12) © 2009, Sonja Hubmann

Calle Obispo Salguero, bei Katharina zu Hause, Córdoba (Argentinien)

Nach weiteren Minuten des Grübelns hatte sie endlich ihr Zuhause in der Calle Obispo Salguero erreicht. Das von einem gepflegten Garten umsäumte Häuschen, war zwar schon ein wenig baufällig, aber der ockerfarbene Anstrich ließ es auf den ersten Blick recht sympathisch wirken. Katharina verlor keine Zeit und hastete zielstrebig über die knarrenden Holzstufen zu ihrem unaufgeräumten Zimmer. Ihren Schulranzen schleuderte sie lässig aufs Bett. Danach hüpfte sie die Treppen wieder nach unten, von wo aus ihr die schrille Stimme ihrer Mutter entgegenhallte:

„Catalina, wir fahren jetzt!“, lautete die unmissverständliche Ankündigung. Das soeben angekommene Mädchen reagierte darauf zunächst mit einem versteinerten Blick. Was bedeutete „wir fahren“? Hieß das, sie musste irgendwohin mitfahren? Wohin überhaupt? Katharina steckte ihren Kopf fragend zur Küchentür hinein und erkundigte sich vorsichtig: „Wo fährt wer hin?“ Obwohl der genervte Augenaufschlag ihrer Mutter bereits Bände sprach, erhielt sie gnädiger Weise die gewünschte Antwort: „Dein Vater und ich fahren nach Río Segundo und holen Deine Geschwister von Oma Carmen ab. Ich weiß nicht, wie oft ich Dir das schon gesagt habe!“, fügte ihre Mutter gereizt hinzu. Katharina sah sie forschend an. Sie wunderte sich ein wenig über ihre satte sonnengebräunte Haut und den langen, folkloreartigen Rock, den sie trug. Katharina konnte sich nicht erinnern, diese eigenartige Form der Bekleidung jemals an ihrer Mutter gesehen zu haben. Auch der Satz mit den „Geschwistern“ wollte ihr nicht so recht in den Kopf gehen. Sie hatte Geschwister? Wie viele denn? 

Da sich Katharina jedoch nicht vollends von ihrem partiellen Blackout verrückt machen lassen wollte, reagierte sie möglichst gelassen: „Ja, ich hab’s vergessen. – Wann kommt ihr wieder zurück?“ Vermutlich hatte sie auch darauf schon irgendwann einmal eine Antwort erhalten, aber diesmal erteilte ihr ihre Mutter bereitwillig Auskunft: „Nicht vor Mitternacht, fürchte ich.“ Katharina nickte und verkündete nun ihren Tagesplan: „Ich gehe mit Natalia zu den Guevaras. Die haben uns eingeladen.“ Obwohl ihre Mutter immer noch hektisch in der Küche herumfuhrwerkte, hatte sie die Worte ihrer Tochter wohl vernommen. Anstelle der erwarteten Predigt von wegen „nicht zu spät nach Hause kommen“ oder „sich ordentlich benehmen“, lautete die Anweisung lediglich: „Vergiss‘ bitte nicht, die Haustüre abzusperren, wenn Du gehst.“ Katharina nickte verstört. 

War das alles? Durfte sie etwa bis Mitternacht wegbleiben? Ihre Gedanken wurden jedoch jäh von einem hupenden Auto unterbrochen, dessen ungeduldiges Tüten und Tröten ihrer Mutter zu gelten schien. Diese nahm gestresst ihre Handtasche und schrie dem ungeduldigen Fahrer durchs offene Fenster entgegen: „Ich komm‘ ja schon!“ Noch im Vorbeilaufen wandte sie sich an ihre Tochter und küsste sie auf die Wange. „Bis später“, lächelte sie, „und räum‘ bitte Dein Zimmer auf, klar?“ Katharina verzog grollend die Lippen, versprach aber, ihrem Wunsch Folge zu leisten.

(Ende Teil 12 / Fortsetzung folgt)

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