KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (13) © 2009, Sonja Hubmann

Nachdem ihre Mutter endlich das Haus verlassen hatte und wieder Ruhe eingekehrt war, genehmigte sich Katharina ein paar „bocaditos salados“, die auf dem Küchentisch nur darauf zu warten schienen, endlich verzehrt zu werden. Dabei streifte der Blick des hungrigen Mädchens neugierig die daneben liegende Zeitung mit der Aufschrift „La Epoca“. Sie war vom 14. Mai 1946, also von heute. Katharina überflog mit dem Brötchen in der Hand ein paar Meldungen. Da wurde beispielsweise die Herstellung diplomatischer Beziehungen mit der UdSSR gefordert. So, so, der Aufenthalt sowjetischer Vertreter in Argentinien könnte daher als bedeutsame Grundlage für diplomatische Vorverhandlungen benützt werden. 

Katharina beförderte einen Happen nach dem anderen in ihren Schlund und blätterte mehr oder weniger gelangweilt weiter. Aha, Amerika will seine Heeresstärke auf 1.550.000 herabsetzen. Das Mädchen grinste verächtlich. Bei eineinhalb Millionen Mann konnte man doch nicht ernsthaft von einer Herabsetzung sprechen. Sie murmelte mit halbvollem Mund: „… darüber hinaus plant Truman eine Zusammenlegung des Kriegs- und Marineministeriums. Außerdem soll den Luftstreitkräften eine höhere Selbstständigkeit zugestanden werden …“ Katharina pausierte kurz. Truman? War das der jetzige Präsident der Vereinigten Staaten? Sie überlegte krampfhaft, ob ihr nicht noch ein anderer Name einfiel. Nein. Okay, dann musste wohl Truman der amtierende amerikanische Präsident sein. 

In der Hoffnung, auf einen ihr bekannten Namen zu stoßen, überflog sie noch kurz die Liste der Konferenzteilnehmer, die da lauteten: Kriegsminister Patterson, Marineminister Forrestal, Admiral Nimitz, General Spaatz. Hm, nein, mit keiner dieser Personen verband sie ein Gesicht oder eine tiefersitzende Erinnerung. Sie legte die Zeitung beiseite und widmete sich dem Verzehr des letzten belegten Brötchens. Da sich in der Küche jedoch nichts mehr befand, was ihr Interesse weckte, begab sie sich kurzerhand die Stufen zu ihrem Zimmer nach oben, öffnete die Türe, begutachtete das darin befindliche Chaos, seufzte ratlos und wanderte unverrichteter Dinge wieder nach unten. Aufräumen könnte sie auch noch, wenn sie zurückkam. Nach einem prüfenden Blick auf ihre abgetragene Armbanduhr verließ sie das Haus und marschierte in Richtung Avenida Chile. 

Auf dem Weg dorthin beobachtete sie, wie eine Gruppe übermütiger Kinder ausgelassen Fußball spielte. Sie kickten das runde Leder von einer Straßenseite zur anderen. Da ihr Spieleifer aber in krassem Widerspruch zu ihrem Spielvermögen stand, sprang der Ball unkontrolliert auf parkende Autos, knallte gegen Hauswände, donnerte an Mülltonnen und – gegen Katharina. „Autsch“, rief sie erschrocken und stoppte den Fußball bravourös. Der Beifall beider Mannschaften zauberte ihr jedoch sofort wieder ein Lächeln auf die Lippen.

„Pass‘ zu mir!“, rief schließlich der ungeduldig umherhüpfende Verteidiger wild gestikulierend. Natürlich meldeten sich auch die anderen zu Wort und verlangten lautstark das lederne Objekt der Begierde. Katharina visierte das gegenüberliegende Tor an, das aus mehreren übereinander gestapelten Holzkisten bestand, nahm einen kurzen Anlauf und kickte den Ball in hohem Bogen über Freund und Feind hinweg. Der dürre Tormann auf der anderen Seite war von diesem Schuss dermaßen überrascht, dass er keinerlei Reaktion zeigte. Die Mitglieder der siegreichen Mannschaft kreischten jedoch sofort „Tor, Tor“ und fielen einander in die Arme. Natürlich löste dies den heftigen Protest der anderen Kinder aus, deren bitterböse Blicke sich auf die Übeltäterin richteten. Katharina murmelte ein schuldiges „tut mir leid“ und begab sich mit raschen Schritten aus der Gefahrenzone.

(Ende Teil 13 / Fortsetzung folgt)


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