KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (19) © 2009, Sonja Hubmann

 

Als dem maßlos Schlingenden von seiner Mutter ein Glas Wein angeboten wurde, lehnte er dies jedoch mit der Begründung ab: „Heute ausnahmsweise nicht. Ich bin ja am Abend zu dieser Party eingeladen. Da gibt es bestimmt noch Alkohol genug.“, entschuldigte er sich. Sein Bruder Roberto grinste gedankenversunken: „Hi, hi, Du hast wohl gerade an die Weintrauben gedacht, mit denen wir uns als Kinder den Magen verdorben haben.“, erinnerte er seinen älteren Bruder. Ernesto kniff etwas mürrisch seine schwarzbraunen Augen zusammen und grollte: „Dieser Typ hat uns damals ganz schön ausgebeutet.“ Katharina, die sich absolut keinen Reim auf diese bruchstückhafte Erzählung machen konnte, hakte nun interessiert nach: „Wer hat euch ausgebeutet?“ 

Ernesto unterbrach seine Nahrungsaufnahme kurz und klärte die Unwissenden auf: „Roberto und ich – er war damals neun und ich zehn Jahre alt – wollten eines schönen Sommers bei der Weinlese mithelfen und sind gemeinsam mit ein paar anderen Kindern, die den Job dringend gebraucht hatten, in dieses Weinanbaugebiet gefahren. Ursprünglich wollten wir ja ein ganzes Monat dort bleiben, aber wir haben es gerade einmal ein paar Tage geschafft …“

„… Ernesto hatte dort einen starken Asthmaanfall, so dass er nicht den ganzen Tag durcharbeiten konnte.“, fügte Roberto erklärend hinzu, ehe sein temperamentvoller Bruder zum Kern der Geschichte kam: „Wir haben aber tapfer die vereinbarten Stunden abgeleistet und dennoch bekamen wir von diesem Geizkragen nur den halben Lohn.“ Roberto ergänzte mit erhobenem Haupt: „Und dafür wollten wir uns irgendwie rächen.“ Ernesto ließ sich in seiner Reminiszenz zu einem Lächeln hinreißen, wobei seine strahlendweißen Zähne kurz aufblitzten: „Und dann haben wir so viele Weintrauben wie möglich in uns hineingestopft, um den fehlenden Lohn irgendwie zu kompensieren. Das war eine Frage der Gerechtigkeit.“, scherzte er mit gespielter Verbitterung. 

Nun erinnerte sich auch Ernestos Vater an einige Details: „Die beiden kamen mit ziemlichen Bauchschmerzen heim, aber schlimmer als die Schmerzen war die Enttäuschung über diesen Ausbeutungsversuch gewesen.“ „Tja“, ergänzte Ernestos Schwester Celia lapidar, „wer Sklavenarbeit verrichtet, der darf sich auch nicht wundern, wenn er wie ein Sklave behandelt wird.“ Ernesto zog es vor, diesen Satz nicht weiter zu kommentieren, sondern sich wieder einem widerspenstigen Fleischstück zu widmen.

Da sich die beteiligten Personen dieser illustren Gesprächsrunde zwischen den einzelnen Schilderungen aber immer wieder simultan andere Geschichten erzählten, bekam Katharina leider nicht jedes der gesagten Worte mit. Während Natalia hauptsächlich mit Celia plauderte, flachste Ernesto mit seinem Klassenkameraden Tomás herum. Die etwas größeren Kinder mischten sich hin und wieder in den Small-Talk des Ehepaars Ferrer ein und die kleinsten Quälgeister nervten ihre Eltern mit sich ständig wiederholenden Fragen. 

Katharina hingegen überlegte krampfhaft woher dieses innere Nahverhältnis zu dem ihr völlig fremden Matías stammte. Als sich ihre Blicke wieder einmal kreuzten, brach der exotisch wirkende Blondschopf die Spannung: „Du bist eine Schulkollegin von Celia?“ Katharina berichtigte: „Von Natalia.“ Matías rückte seinen Sessel ein wenig nach vorne und interessierte sich weiter: „Bist Du heute das erste Mal hier?“ Katharina nickte und stellte eine Gegenfrage: „Und Du bist ein Teamkollege von Ernesto?“ „Ja, ich spiele im Rugby-Club Estudiantes. Roberto übrigens auch.“, deutete er auf den dunkelhaarigen, frech wirkenden Bruder seines Schulkollegen. Roberto rief quer über den Tisch: „Spürst Du Deine Verletzung eigentlich noch?“, erkundigte er sich lautstark. 

Matías griff sich kurz an seinen durchtrainierten Arm und verneinte: „Alles bestens, ich bin wieder voll einsatzfähig.“ Da diesmal auch Ernesto zugehört hatte, meldete er sich sofort zu Wort: „Davon hat man heute aber nicht viel gemerkt.“, lästerte er grinsend. Matías knurrte daraufhin scherzhaft: „Warte nur, meine Zeit kommt schon noch.“

(Ende Teil 19 / Fortsetzung folgt)

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