KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (16) © 2009, Sonja Hubmann

 

Während nun eine dunkelhäutige, nicht besonders großgewachsene Haushälterin die Getränke ausschenkte, widmeten sich die anderen Gäste ihren ganz persönlichen Gesprächsthemen. Katharinas Blick folgte den Behältnissen mit der dunkelgrünen Flüssigkeit. Sie ahnte Schlimmes. Das war doch nicht etwa schon wieder dieser scheußliche Mate-Tee? Noch ehe sie ihre Befürchtung zu Ende denken konnte, hatte man ihr auch schon eines dieser bauchigen Gefäße inklusive eines metallenen Strohhalms, den die Anwesenden als „Bombilla“ bezeichneten, in die Hand gedrückt. Das Mädchen betete, dass der Mate-Tee hier besser schmecken würde und probierte einen kleinen Schluck. Grauenvoll. Scheußlich. Katharina bemühte sich aber redlich, ihre Gesichtszüge nicht allzu sehr entgleisen zu lassen. Ihr verzweifelter Blick hielt vergeblich nach einem Zuckerstreuer Ausschau. Nichts. Wie in aller Welt konnte man dieses schreckliche Gebräu nur ungesüßt trinken? Da sie sich jedoch keine Blöße geben wollte, nippte sie tapfer an der kredenzten Flüssigkeit, die sich unter den zerstampften Teeblättern befand und beobachtete die Menschen um sie herum nun etwas genauer. 

Da war zunächst einmal die vornehme und sehr sympathische Mama Celia, die ständig zwischen Küche und Esszimmer hin- und herwuselte. Dafür, dass sie fünf Kinder zur Welt gebracht hatte, besaß sie immer noch eine beneidenswerte Figur. Ganz offensichtlich hatte sie seit ihrer frühen Jugend irgendeine Art von Sport betrieben. Ihr pechschwarzes Haar hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden. Ihr Mann hingegen, Ernesto Senior, wirkte in seinem offenbar gerne getragenen Anzug ziemlich streng. Ein Eindruck, der durch die grauen Strähnchen, die seinen hohen Haaransatz zierten noch verstärkt wurde. Hin und wieder rückte er seine voluminöse Hornbrille zurecht, deren dicke Glaseinsätze von seiner Kurzsichtigkeit zeugten. Die Kinder der Guevaras waren allesamt gutaussehend. Celia, Natalias zweckdienliche Freundin in Liebesangelegenheiten, trug ihr dunkles Haar offen und bezauberte durch ihr einnehmendes Lächeln. Katharina schätzte sie auf etwa 17 Jahre. Ihre jüngere Schwester Ana María musste so um die 12 Jahre alt sein. Auch sie hatte langes, dunkles Haar, das sie zu zwei lustigen Zöpfchen zusammengebunden hatte. Das jüngste Familienmitglied, Juan Martín, war bestimmt nicht älter als drei und krabbelte mit seinen Spielkameraden zwischen den Tischbeinen umher. 

Obwohl Katharina noch gerne die beiden Ehepaare und auch Tomás Granado genauer in Augenschein genommen hätte, konzentrierten sich nun alle Blicke auf Ernesto, der gerade mit seinem Bruder Roberto im Schlepptau die Stufen herunter gehüpft kam. Katharina schielte zu ihrer Freundin Natalia hinüber, deren mahagonifarbenen Augen wie zwei Diamanten zu leuchten begannen. Katharina musterte den Neuankömmling interessiert. Er sah tatsächlich umwerfend aus. Er war nicht nur groß und schlank, sondern auch noch überdurchschnittlich attraktiv. Kein Wunder, dass sich Natalia Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. Er hatte kurzes, schwarzes Haar und leuchtend dunkle Augen, die verschmitzt seine Gäste inspizierten. Sein unwiderstehliches Lächeln traf zunächst die ihm bekannten Personen, die er herzlich begrüßte. 

Bei Herrn Ferrer erkundigte er sich mit verdutzter Mine: „Wo ist Calica? Ist er gar nicht mitgekommen?“ Der Gefragte schüttelte bedauernd den Kopf: „Nein, aber er hat gesagt, dass er Dich ohnehin noch am Abend sehen wird. Keine Ahnung, was er damit gemeint hat.“ Ernesto lächelte wissend: „Ja, ja, er meinte damit die Feier, die heute einer unserer Schulkameraden gibt.“ Ganz augenscheinlich hatte Calica seinen Eltern diese Detailinformation aber vorenthalten. Die beiden Ferrers trugen diese Mitteilung jedoch mit Fassung.

(Ende Teil 16 / Fortsetzung folgt)

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