KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (14) © 2009, Sonja Hubmann
Sie ließ die erhitzten Gemüter der Fußballfanatiker hinter sich und schlenderte nun an zwei schon ergrauten Männern vorbei, die mit ihren etwas krummen, aber flinken Gichtfingern eine Partie Domino spielten. Ihre vom Leben gezeichneten Gesichter glänzten in der heißen Mittagssonne. Die meisten von ihnen pafften genüsslich an ihren selbstgedrehten Zigarren, deren qualmender Rauch sich mit beißendem Gestank durch die Straße schlich. Währenddessen das neugierige Mädchen den alten Herren von diesen fast unbemerkt aus einiger Entfernung über die Schulter schielte, vernahm sie aus dem angrenzenden Gebäude die Stimme eines Radiosprechers, der soeben die neuesten Meldungen verkündete.
Katharina verharrte instinktiv in ihrer Position und lauschte den Nachrichten: „Washington. Herbert Hoover wird als Sonderbeauftragter des amerikanischen Präsidenten Truman eine Reise nach Südamerika unternehmen. Er wird dort prüfen, welchen Beitrag die südamerikanischen Staaten zur Bekämpfung der Ernährungskrise leisten können. Dies verlautbarte gestern das Weiße Haus.“ Katharinas Konzentration wurde kurz durch das herzhafte Lachen des Gewinners im Domino-Spiel gestört. Erst, nachdem sich die Herren wieder beruhigt hatten, konnte sie der weiteren Meldungsübersicht folgen: „… wurde im Nürnberger Prozess heute der Angeklagte Dönitz verhört. Sein Verteidiger, Dr. Kranzbühler, legte dem Gerichtshof mehrere Dokumente vor, die beweisen sollen, dass es sich bei Dönitz um keinen fanatischen Nazi gehandelt haben soll …“
Katharina kniff nachdenklich
die Augen zusammen. Nürnberger Prozess? Davon hatte sie schon mal was gehört.
Sie ärgerte sich immer noch über ihre lästigen Gedächtnislücken. Weshalb hatte sie
dieses eigenartige Gefühl, Dinge, Namen und Personen zu kennen? Wieso aber
konnte sie diese Gefühle dann aber keiner klaren Erinnerung zuordnen? Sie
atmete kurz durch und spitzte ein weiteres Mal die Ohren. Der
Nachrichtensprecher fuhr in staccatoartigem Tempo fort: „…demnach ist laut der
Zeitung „Kathimerini Nea“ der Umschwung in der Politik Englands und Amerikas am
verstärkten Terror in Griechenland Schuld. Der Abgeordnete des englischen
Parlaments, Mr. Tiffany, berichtete indessen, dass sich der Terror auf ganze
Stadtviertel ausgeweitete hatte. Seinen Aussagen zufolge ziehen mehrere, mit Handgranaten
und Maschinenpistolen bewaffnete Banden durch die Stadt und greifen ganze Häuserblocks
an. Auch das griechische Innenministerium bestätigte für den Zeitraum zwischen
dem 1. April und dem 6. Mai, 98 grausame Morde.“
Katharina hatte nun genug gehört. Da sie sich von derartigen Schreckensmeldungen
nicht den ganzen Tag verderben lassen wollte, setzte sie zielstrebig ihren Weg
fort und gelangte auf die Avenida Leopoldo Lugones, zu dessen linker Seite der
begrünte Parque Sarmiento lag. Sie marschierte geistesabwesend am Plaza España
vorüber und erreichte den von schattenspendenden Bäumen gesäumten Chacabuco
Boulevard, der die Avenida Chile kreuzte. Je näher sie allerdings der von ihr
gesuchten Hausnummer 288 kam, desto ärmlicher wirkten die meisten Häuser.
Malträtiert von den ewigen Erdbewegungen waren viele von ihnen bereits in sich
zusammengefallen. Die noch aufrechtstehenden Mauerruinen hatten einige findige
Obdachlose gleich als Basis für ihre Blech- und Holzhüttchen verwendet.
Als
Katharina nun an dieser Barackensiedlung vorüber kam, vernahm sie hinter sich
plötzlich quietschende Rollgeräusche. Sie wandte sich erschrocken um. Was war
das? Ein beinloser Mann saß da auf einer mit Rädern versehenen Holzkiste, Marke Eigenbau, und
ließ sich von einem Hundegespann durch die Straßen ziehen. In seiner rechten Hand
hielt er eine schwarze Lederpeitsche, die er knallend und schnalzend durch die
Luft wirbelte. Katharina konnte diesem eigentümlichen Gefährt gerade noch
rechtzeitig ausweichen. Welch‘ gespenstische Gegend, dachte sie noch bei sich
und wäre beinahe an ihrem Ziel vorbeimarschiert.
(Ende Teil 14 / Fortsetzung folgt)
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