KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (15) © 2009, Sonja Hubmann

 Avenida Chile, im Haus der Guevaras, Córdoba (Argentinien)

Das Haus der Guevaras sah im Gegensatz zu manchen anderen auf den ersten Blick recht hübsch aus. Es hatte zwei Stockwerke, eine Terrasse und eine Garage, in der ein etwas verwahrlostes Auto sein Dasein fristete. Bei näherem Hinsehen konnte man jedoch erkennen, dass die Vorderfront des Hauses ein wenig windschief war und dass sich zwischen dem Erdgeschoss und dem oberen Stockwerk ein fingerbreiter Spalt gebildet hatte. Offensichtlich versank das Fundament langsam aber sicher im losen Erdreich. Dieses Schicksal erwartete hier in der Gegend wohl mehrere Häuser.

Das bunte Stimmengewirr der Anwesenden war bis auf die Straße zu hören. Da die Eingangstüre einladend offenstand, näherte sich Katharina mit höflicher Zurückhaltung dem illustren Personenkreis, der sich unweit der Eingangstüre im Esszimmer versammelt hatte. Ein kurzer Rundblick gab ihr einen ersten Eindruck der um den Tisch versammelten Gäste. Sie zählte insgesamt sieben Erwachsene, fünf Jugendliche und ebenso viele kreischend herumtobende Knirpse.  

Gerade, als sie sich bemerkbar machen wollte, rief ihr Natalia aus der hinteren Ecke einen Willkommensgruß zu: „Catalina, komm‘ herein. Du kannst Dich zu mir setzen.“, deutete sie auf ihren Sitzplatz, den sie zur Hälfte freigemacht hatte. Katharina lächelte etwas verlegen und erwiderte den Gruß, den sie an die Allgemeinheit richtete. In diesem Moment erhob sich ein älterer Herr und verkündete: „Wir sind ohnehin schon am Nachhause gehen. Du kannst Dich gerne auf meinen Platz setzen.“ Die Dame des Hauses schüttelte jedoch vehement den Kopf und schleppte einen weiteren Stuhl herbei, den sie zwischen ihre Tochter Celia und Natalia quetschte: „Hallo, Du musst Natalias Freundin sein. Setz‘ Dich bitte und Du …“, sie deutete auf den immer noch stehenden Mann, „… Du bleibst noch auf eine Tasse Tee hier.“ 

Für Katharina waren die Umstände, die für sie gerade gemacht wurden, ein wenig unangenehm. Dennoch setzte sie sich artig auf den ihr zugewiesenen Platz, hing lässig ihre hellgrüne Weste über die Sitzlehne und ließ nun auch die unvermeidliche Vorstellrunde über sich ergehen. Die eloquente und selbstbewusste Gastgeberin begann gleich bei sich selbst: „Also, ich bin Celia, das hier ist mein Mann Ernesto, das ist das Ehepaar Ferrer, dann die Familie Aguilar mit den Kindern Carmen, Juan, Paco und Pepe …“, sie tippte dabei wahllos auf die am Boden umhertollenden Kinder und fügte bei dieser Gelegenheit noch hinzu, „… und meine Kinder Roberto, Juan Martín und Ana María …“ 

Katharinas Augen weiteten sich bei jedem neuen Namen. Ihr Gehirn war schlichtweg überfordert. Sie atmete kurz durch und versuchte sich zu konzentrieren. Wie in aller Welt sollte sie sich nur diese Vielzahl an Namen und Gesichtern merken? Celia sprach jedoch unbeirrt weiter: „ … und das ist Tomás Granado, ein Schulkollege unseres Sohnes Ernesto, das hier ist meine Tochter Celia, Natalia kennst Du ja und dies hier …“, sie deutete auf einen blonden Jungen mit kobaltblauen Augen, „… das hier ist Matías, ein Freund meines Sohnes.“ Katharina lächelte den ihr gegenübersitzenden Blondschopf an. Sie hatte plötzlich das Gefühl, dass sie diese unglaublich strahlenden Augen schon irgendwo einmal gesehen hatte. Auch das Gesicht des jungen Mannes erinnerte sie an jemanden. 

Doch noch ehe sie darüber nachdenken konnte, woher sie diesen Matías kannte, erkundigte sich Celia nach ihrem ältesten Sohn: „Wo ist eigentlich Ernesto?“ Die Antwort kam von Roberto, der lapidar meinte: „Der sitzt sicher wieder am Klo und liest irgendein Buch.“
„Sag ihm, er soll jetzt endlich herunterkommen und unsere Gäste begrüßen.“, forderte Celia ihren Sohn zum Handeln auf. Dieser widersetzte sich jedoch mürrisch: „Warum immer ich? Celia soll ihn holen!“, verteidigte er sich und deutete dabei auf seine etwas ältere Schwester, die von Natalia und Matías eingezwängt am Ende des Tisches saß. Nun ertönte jedoch die energische Stimme des Hausherrn, der seinen unwilligen Sohn Roberto ermahnte: „Hast Du nicht gehört, was Deine Mutter gesagt hat? Du gehst! Also, los!“ Seine strengen Worte bewirkten, dass sich der etwa 14jährige Roberto zwar mürrisch aber dennoch folgsam von seinem Stuhl erhob und in provokantem Schleichschritt die Treppen nach oben trottete.

(Ende Teil 15 / Fortsetzung folgt)

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