KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (1) © 2009, Sonja Hubmann
JETZTZEIT
Schulhof, Wien
Auf dem asphaltierten Platz
vor dem Wiener Bundesrealgymnasium roch es wieder einmal gewaltig nach Schule.
Zahlreiche Mädchen und Burschen der Oberstufe hatten sich vor dem kahlen
Ziegelgebäude zu kleinen Grüppchen zusammengerottet, um die Zeit vor dem Läuten
der unerbittlichen Schulglocke noch sinnvoll zu nutzen. Einige würgten
heißhungrig ihr McMenü, bestehend aus Pommes, Burger und Cola hinunter, andere
gaben sich angeregten Diskussionen hin, wiederum andere tippten noch rasch ihre
Hausaufgaben in ihren Laptop oder standen einfach nur so in der Gegend herum,
stets darauf hoffend, der Unterricht würde heute vielleicht durch ein Wunder
entfallen.
Auch Katharina Schwarz, eine hübsche 15jährige mit langem, kaffeebraunem Haar
und runden Mocca-Augen lehnte etwas verloren an einer schmalen Mauer und
starrte auf einen um zwei Jahre älteren Jungen. Umringt von seiner Clique aus
der siebenten Klasse, scherzte er mit einer langbeinigen Blondine. War dies
seine Freundin? Katharina beobachtete das Mädchen eingehender. Sie hatte ein
hübsches, ebenmäßiges Gesicht und wirkte schon ziemlich erwachsen. Aus Marcels
Verhalten wurde sie jedenfalls nicht schlau. Obwohl er die zufälligen
Berührungen des Mädchens nicht erwiderte, lächelte er sie freundlich an.
Katharina wünschte sich nichts sehnlicher, als seine Aufmerksamkeit, aber ihr
Angebeteter schenkte ihr keinen Blick, kein Lächeln und schon gar keine Aufmerksamkeit.
Wenn sie wenigstens herausbekommen könnte, ob er mit dieser Langbeinigen
zusammen war oder nicht? Gerade, als sie hinter dieses Geheimnis kommen wollte,
steckte ihr plötzlich jemand von hinten zwei Kopfhörerknöpfe in die Ohren.
Noch ehe sie sich umdrehen konnte, bahnte sich schon eine ganze Musikkapelle den Weg durch ihre Gehörgänge. Zu allem Überfluss begann nun auch noch ein Rapper in Spanisch loszukreischen: „… mirala como maquina, pa‘ pillarla en una esquina, como ron, que fina, tremenda asesina …“ Katharina riss sich die beiden Knöpfe aus den Ohren und erkannte nun die Übeltäterin. Es war ihre beste Freundin Nadine, die erwartungsvoll nachfragte: „Na? Das ist Don Omar mit dem Titel ‚Dale Don Dale‘. Wie gefällt Dir der Song?“ Katharina zeigte sich über das soeben Gehörte aber nur mäßig begeistert: „Nun ja, klingt irgendwie – ähm – progressiv?“ Nadine rollte kopfschüttelnd die Augen und pries die angesagte Musikrichtung erneut an: „Das ist Reggaetón. Auf Kuba ist das der absolute Überhammer. Mein Cousin hat mir den Song gemailt. Der macht dort gerade Urlaub.“, gestikulierte sie stolz und fuhr sich dabei durch ihre struppige Kurzhaarfrisur. Katharina musterte sie eindringlich und wunderte sich stirnrunzelnd: „Aber ich dachte, Du wolltest einen Tango-Kurs machen und keinen Reggaetón-Kurs?“
Diese Frage hätte sie besser nicht gestellt. Mit wenigen Klicks hatte Nadine auch schon das nächste Lied ausgewählt. Wiederum steckte sie Katharina die unerbittlichen Lautsprecherknöpfe ins Ohr. Diesmal trötete, hämmerte, rasselte und fiepte es aus dem hellgrünen I-Pod. Katharina machte gute Miene zu bösem Spiel und ertrug das Gejammer des Tenors nun etwas länger. Nach der Passage: „… dónde estás, dónde estás, adónde te has ido …“ hatte sie dann aber doch genug. Mit einem entschuldigenden Lächeln entfernte sie die beiden Marterknöpfe aus ihrem Ohr und schüttelte den Kopf: „Also, ich weiß nicht, mein Geschmack ist das nicht gerade.“, gab sie ehrlicher Weise zu. Nadine zeigte jedoch wenig Verständnis für das musikalische Desinteresse ihrer Freundin: „Das ist von Aníbal Troilo, das Lied heißt ‚Yuyo Verde‘ und ist der absolute Retro-Hit aus dem Jahr 1946.“, lobte sie diesen Song. Da Katharina aber immer noch nicht mit der geforderten Begeisterung reagierte, schlug Nadine etwas ganz anderes vor: „Wir könnten uns doch gemeinsam für den Tango-Kurs anmelden. Ich kann sogar schon die Grundschritte.“ Katharina verhielt nun noch abweisender: „Also, ich weiß nicht. Tango? Das ist nicht so ganz mein Tanz, glaube ich.“
Mit diesem Geständnis hatte sie bei Nadine aber genau das
Gegenteil erreicht. Die quirlige Tango-Enthusiastin nahm sofort neben ihrer
Freundin Aufstellung und begann mit ihren Anweisungen. Sie setzte den rechten
Fuß nach vorne, wiegte dabei die Hüfte zur Seite, verlagerte das Gewicht auf
den linken Fuß und setzte den rechten wieder neben dem linken ab. Dies
wiederholte Nadine dann auch noch mit dem anderen Bein und forderte ihre
Freundin zum Mitmachen auf: „Jetzt, komm‘ schon. Es ist gar nicht so schwer.“
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