KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (4) © 2009, Sonja Hubmann

Mit zehnminütiger Verspätung stolperte nun endlich der schmächtige, aber streng aussehende Lehrer zur Tür herein. Unter den Schülern herrschte plötzlich eine beklemmende Stille. Der kurzsichtige Sozialkunde-Professor rückte seine Brille zurecht und verlor keinerlei Zeit mit Begrüßungen oder Vorworten. Ungeduldig streifte er durch die mittlere Bankreihe und musterte die wissensleeren Augen seiner Schülerinnen und Schüler. 

„So“, klatschte er weithin hörbar in die Hände und erweckte damit einen Träumer in der hintersten Reihe aus seiner geistigen Abwesenheit, „worüber haben wir das letzte Mal gesprochen?“ Ein allgemeines, betroffenes Zubodenblicken war die Folge. Jeder tat so, als ob es plötzlich irgendwas Wichtiges am Fußboden oder auf den Bänken zu entdecken gäbe. Schließlich aber fasste sich die rothaarige Küsserin ein Herz und meldete sich kaugummikauend zu Wort: „Che Guevara.“ Der Professor ignorierte großzügig den Kaugummi im Mund der Schülerin und räusperte sich mit gespieltem Zynismus: „Sehr gut, Frau Kotlowski, Sie haben sich zwei Worte aus den letzten vier Unterrichtsstunden gemerkt. Hervorragend.“ 

Er setzte seine Wanderung durch den Gang in Richtung Tafel fort und verlautbarte seine soeben geborene Idee: „Wir machen es jetzt so: Ich werde einfach wahllose Ereignisse, Daten und Stichworte in den Raum werfen und auf eine bestimmte Person zeigen, die mir dann mehr darüber erzählen wird. Haben wir das alle verstanden?“ Diesmal wurde er von den stumpfen Augenpaaren erschrocken angestarrt. Auch Katharinas dunkle Augen befanden sich darunter. Che Guevara? War das tatsächlich der Stoff der letzten Stunden gewesen? Was wusste sie von ihm? Nix. Leere. Gähnende Leere. Sie vertraute jedoch auf den namenlosen Schutzpatron der Ahnungslosen und hoffte darauf, bei der bevorstehenden Befragung einfach vergessen zu werden.  

(Ende Teil 4 / Fortsetzung folgt)

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