KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (5) © 2009, Sonja Hubmann

„Also, zum Aufwärmen, Tünde Mayr, was fällt Ihnen zum Stichwort: Schweinebucht ein?“ 

Im Hintergrund formte ein hagerer Bursche seine Lippen zu einem Schweinerüssel und grunzte ein gut hörbares „oink“. Wie eine Karnevalswelle rollte ein spontanes Gelächter durch das Klassenzimmer. Der Einzige, der dies jedoch nicht lustig fand, war der anzugtragende Sozialkunde-Professor, der den Absender dieses Scherzchens sofort abmahnte: „Herr Unterberger, wenn Sie sich kabarettistisch betätigen wollen, dann bewerben Sie sich bitte im „Kabarett Simpl“. Da fragt Sie bestimmt niemand nach einem positiven Schulabschluss, den Sie vermutlich ohnehin nicht anstreben.“ Obwohl der junge Nachwuchsclown so tat, als ob ihn diese Androhung völlig kalt ließe, senkte er seinen Blick und überließ der gefragten Tünde Mayr die Antwort, die bruchstückhaft ihre Ahnungslosigkeit zusammenfasste: „Nun, das war 1961 … da haben Exilkubaner die Schweinebucht in Kuba angegriffen, aber … ähm … sie waren total in der Unterzahl und haben die Schlacht verloren.“ 

Der hagere Professor stöhnte gequält: „Mager, Frau Mayr, sehr mager. Die Invasion erfolgte vom 16. auf den 17. April 1961. Warum?“ Noch während seiner Frage versuchte er den Stift, den er ungeduldig zwischen seinen Fingern hin und herbewegt, in die rechte, obere Anzugtasche zu stecken, schien aber wohl vergessen zu haben, dass dieser Anzug gar keine Taschen an der gesuchten Stelle hatte. Unbeirrt davon schob er seine kleine Rundbrille mit einer fahrigen Bewegung nach oben und beantwortete seine Frage nach dem „warum“ gleich selbst: „Nun, weil Guevara und auch Castro die Verstaatlichung der Banken, der Industrien und des Grundbesitzes vorantreiben wollten. Gleichzeitig setzte sich Guevara für eine Annährung an die sozialistischen Länder ein. Diese Maßnahmen führten letztendlich zu einem Handelsembargo der USA, was für Kuba natürlich tragisch war. Warum war es tragisch?“ 

Abermals suchte er mit dem Stift die imaginäre Sakkotasche und fuhr ins Leere. Einige der Schüler bemerkten dies und begannen amüsiert zu kichern. Wenigstens ein kleiner Unterhaltungswert, der den öden Monolog etwas erträglicher machte. Ungeachtet der grinsenden Gesichter wiederholte er die letzte Frage: „Warum war dies für Kuba tragisch?“ Auch diesmal wartete er gar nicht erst auf eine Antwort, sondern fuhr im Eiltempo fort: „Weil das Zuckerrohr, das in Kuba produziert wurde, zu einem Großteil in die USA gegangen war. Deshalb wollte Guevara neue Absatzmärkte für Zuckerrohr finden. Guevara und Castro gewannen die Sowjetunion als neuen Handelspartner und daraus resultierend – es war damals die Zeit des Kalten Krieges zwischen Russland und den USA – hat der CIA einen Angriff auf die Schweinebucht in Kuba organisiert.“ 

Er schien so sehr von seinem eigenen Vortrag fasziniert zu sein, dass er gar nicht merkte, wie einige der Schüler vor Langeweile in ihren Sesseln immer weiter nach unten gerutscht waren, während andere mit gebannten Blicken seinem roten Kugelschreiber folgten, der nicht und nicht den Weg in die gar nicht vorhandene Anzugtasche finden wollte. Der hagere Professor fuhr sich seufzend durch sein schütteres, gelocktes Haar und beendete seinen Monolog mit den Worten: „Die 1.500 Exilkubaner, die als Soldaten angeworben worden waren, hatten jedoch keine Chance gegen das 200.000 Mann starke Milizheer Castros. Mit anderen Worten, der Angriff endete in einem Desaster.“ 

Nun endlich schien er begriffen zu haben, dass er an diesem Morgen wohl den taschenlosen Anzug gewählt hatte. Fast etwas verärgert darüber legte er den widerspenstigen Rotstift zur Seite und hielt Ausschau nach dem nächsten Opfer, das er mit seinem stechenden Blick fixierte: „So, Herr Unterberger, da Sie vorhin mit Ihrem ‚oink‘ so unendlich viel zum Thema beigetragen haben, fällt Ihnen doch sicher etwas zum 9. Oktober 1967 ein?“ Der junge Herr Unterberger probierte es diesmal mit hoffnungsfrohem Raten: „Hm, vielleicht ist da Kennedy ermordet worden? Oder nein, war das nicht der Geburtstag von Fidel Castro? Aber es könnte auch sein, dass da Che Guevara zum zweiten Mal geheiratet hat? – Oder war das sein Todestag?“ 

Der leidende Professor brummte am Ende der aufgezählten Lösungsmöglichkeiten gelangweilt: „Herr Unterberger, seh‘ ich aus wie der Quizmaster der Millionenshow? Wenn ja, dann teilen Sie mir jetzt bitte Ihre letzte Entscheidung mit, A, B, C, oder D?“ „D“, entschied sich der ins Schwitzen geratene Kandidat mutig, „Guevara ist an diesem Tag ermordet worden.“ Gerade, als sich der leidgeprüfte Professor mit der Antwort zufrieden zeigen wollte, fiel sein Blick auf Katharina, die unvorsichtigerweise gähnen hatte müssen. Nur einen Sekundenbruchteil zu spät hatte sie sich die Hand vor den Mund gehalten.

(Ende Teil 5 / Fortsetzung folgt) 

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