KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (29) © 2009, Sonja Hubmann

 

Das Mädchen begutachtete ein weiteres Foto, auf dem Ernesto mit einem Hund abgelichtet war. In Ermangelung eines besseren Gesprächsthemas tippte sie auf den schwarzen Schnauzer Pinscher: „Ist das Dein Hund?“ Ernesto betrachtete das Foto mit Wehmut und antwortete: „Es war mein Hund. Ein Hundefänger hat ihn vor etwa zwei Jahren vergiftet.“, gestand er niedergeschlagen. Katharina schluckte betroffen: „Das ist ja grauenvoll.“ „Du sagst es“, nickte er, „der Hundefänger hat ihm Zyankali auf den Rücken gesprüht. Es muss einen ziemlichen Juckreiz verursacht haben, denn Negrina, so hatte ich die Hundedame getauft, leckte sich das Gift sofort vom Rücken. Ihr Todeskampf war schrecklich.“ 

Ernesto versuchte seinen Schmerz möglichst nicht zu zeigen, aber Katharina konnte seine Trauer dennoch fühlen. Sie getraute sich in Anbetracht der depressiven Stimmung, die gerade im Raum herrschte, jedoch keine weitere Frage anzuhängen. Ihr gedrückter Gastgeber fügte aber noch eine gedankenversunkene Anmerkung hinzu: „Na ja, aber zum Begräbnis sind alle Kinder der Nachbarschaft gekommen, es war ein ziemlich langer Trauerzug.“, erinnerte er sich. 

Katharina äugte ein weiteres Mal zur Türe und fragte sich, was so lange an Natalias „Teehol-Aktion“ dauern könnte. Vermutlich hatte sie sich wieder irgendwo vertratscht. Und Matías? Wollte er denn nicht nur kurz die Toilette aufsuchen? Irgendwie waren Katharina die Gesprächsthemen ausgegangen. Worüber sollte sie mit einem, ihr völlig fremden jungen Mann auch reden? Sie ließ ihren ratlosen Blick unruhig durchs Zimmer wandern. Weshalb stellte ihr Ernesto keine Fragen? Immerhin war sie doch das erste Mal bei ihm zu Besuch. Sollte man sich da für seinen Gast nicht ein bisschen mehr interessieren? 

Katharina erspähte schließlich ein Schachbrett, auf das sie zielstrebig zusteuerte. Sie entführte einen der unscheinbaren Bauern aus der Truppe der schwarzen Mannschaft und betrachtete ihn interessiert. Ernesto näherte sich ihr, griff nach dem Entführten und stellte diesen wieder auf seinen angestammten Platz zurück. „Spielst Du Schach?“, erkundigte er sich lächelnd, während er Katharina erstmals tief in die Augen sah. Das Mädchen fühlte sich von seinem durchdringenden Blick fast etwas unangenehm berührt und schüttelte entschuldigend den Kopf: „Äh, nein, leider nicht. Ich weiß nur, welche Züge der Turm macht.“, gestand sie schüchtern. 

Ernesto zog das Schachbrett mit den kunstvoll geschnitzten Holzfiguren hervor und stellte es auf einen mahagonifarbenen Rundtisch. „So“, begann er unaufgefordert mit der Einschulung, „das hier sind die Bauern. Die dürfen immer nur ein Feld nach vorne rücken.“ Ernesto packte die kleine Figur am Kopf und schob sie demonstrativ über das Holzbrett. Mitten in seinen ausführlichen Erklärungen begann er aber plötzlich immer schwerer zu atmen. Katharina sah ihn mit besorgtem Blick an. Seine Kurzatmigkeit wurde aber immer heftiger. Obwohl Ernesto sich bemühte, weiterzusprechen, fiel ihm dies von Wort zu Wort schwerer, bis er auf einmal gar nichts mehr herausbrachte. 

Er hatte ganz offensichtlich große Mühe, die Luft in seinen Lungen wieder auszuatmen. Als das Pfeifen, Zischen und Röcheln aber immer heftiger wurde, sprang Katharina erschrocken auf. Ganz ohne Zweifel war dies ein Asthma-Anfall, von dem sie bis dato nur in der Theorie etwas gehört hatte. Das Mädchen rannte panikartig zur Türe. Gerade als sie jedoch loskreischen wollte, kamen ihr Natalia und Matías entgegen, die sofort hilfreich zur Stelle waren. Matías stellte dem immer noch gepresst ausatmenden Ernesto sofort die unverzügliche Frage: „Wo hast Du den Asmopul-Spray?“ Ernesto deutete röchelnd und mit weit aufgerissenen Augen auf seine Jacke, die er über einen Sessel gehängt hatte. 

Blitzartig griff Matías nach der kleinen Spraydose, eilte zu Ernesto und drückte ihm die Öffnung des Geräts dicht an den Mund. Katharina versuchte indessen mit dem Schock, der ihr immer noch in den Gliedern saß, klar zu kommen. Auch Natalia hatte erst jetzt den mitgebrachten Tee abgestellt und verfolgte mit gebannter Betroffenheit die Szene. Der hüstelnde Asthmatiker blies sich nun selbst den Inhalt des Sprays stoßweise in die Lunge. Als sich sein Zustand daraufhin tatsächlich besserte, wagte Katharina eine vorsichtige Frage: „War das gerade einer dieser Asthma-Anfälle?“ 

Ernesto rang sich mühsam ein Lächeln ab und keuchte geschwächt: „Zum Glück … war es … diesmal nicht so … schlimm.“ Katharina runzelte verwundert die Stirn, während ihre Gedanken nahezu sichtbar wurden. Nicht so schlimm? Wie sahen denn dann die anderen Anfälle aus? Laut fragte sie jedoch etwas anderes: „Und dieser Spray? Wozu dient der?“ Da sich Ernesto aber gerade eine neuerliche Dosis in den Rachen schoss, übernahm Matías die Antwort: „Der Spray erweitert die Bronchien. Dies führt zu einer Entspannung der Atemwegsmuskulatur.“ Katharinas Interesse wurde durch diese Antwort jedoch nur noch stärker geweckt: „Aha, und was passiert bei so einem Asthma-Anfall überhaupt?“ 

Matías näherte sich ihr und setzte seine medizinische Erklärung mit unterstützender Gestik fort: „Also, die Bronchien sind mit einer Schleimhaut umgeben und diese schwillt bei einem Anfall an. Darüber hinaus zieht sich auch noch die Muskulatur der Bronchien krampfartig zusammen und dadurch gibt es natürlich keine Luftzufuhr zur Lunge. Aber im Grunde genommen ist Asthma nichts anderes als eine Überempfindlichkeit der Atemwegsschleimhaut.“, berichtete er. Katharina staunte einmal mehr über das Wissen des faszinierenden und vor allem gutaussehenden Teenagers. 

(Ende Teil 29 / Fortsetzung folgt)

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