KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (32) © 2009, Sonja Hubmann

 

Calle Manuel Belgrano, auf der Party, Córdoba (Argentinien)

Während sich Ernestos Mutter mit der auspufflosen Rostschüssel auf den Heimweg machte, begrüßten die fünf Jugendlichen ihre gleichaltrigen Gastgeber. Katharina hatte bei all den Menschen, die sich im Raum befanden Mühe, sich die Namen der einzelnen Personen zu merken. Zwei erkannte sie aber auf Anhieb wieder. Es waren Carla und Julieta, die beiden Lästermäuler aus ihrer Klasse. Katharina versuchte jedoch, den beiden möglichst aus dem Weg zu gehen. Der Radiosender „El Mundo“ beglückte die Tanzbegeisterten mit argentinischen Tangoklängen und die Getränkeauswahl war ebenfalls nicht zu verachten. 

Katharina gelang es diesmal aber, sich dem angebotenen Mate-Tee zu entziehen. Sie bevorzugte einen farbenfrohen antialkoholischen Longdrink. Nachdem sie Dutzende Hände von durchwegs hübschen Mädchen und Burschen geschüttelt hatte, bemerkte sie das Fehlen ihrer hellgrünen Weste. Sie musste sie wohl im Hause der Guevaras vergessen haben. Richtig, die Weste hing bestimmt immer noch über der Sessellehne des Stuhls im Esszimmer. Da Matías aber gerade mit ihr ins Gespräch kommen wollte, verwarf sie den Gedanken an das Kleidungsstück sofort wieder. Noch ehe der Junge ihr aber eine Frage stellen konnte, spürte sie, wie sie jemand zur Seite zog. Es war Natalia, die sie dringend um Aufmerksamkeit bat.

„Was ist los?“, knurrte Katharina genervt und entschuldigte sich kurz bei Matías. Natalia zog ihre Freundin noch ein Stück näher zu sich und begann mit verhaltener Stimme von Ernesto zu schwärmen: „Findest Du ihn nicht auch total süß?“ „Deswegen zerrst Du mich jetzt von Matías weg?“, rügte sie ihre verliebte Freundin. Natalia senkte gekränkt den Blick. Da Katharina sie jedoch mit ihrer unsensiblen Reaktion nicht beleidigen hatte wollte, glättete sie das zuvor Gesagte mit etwas Diplomatie: „Natürlich finde ich Ernesto attraktiv, obwohl ich sagen muss, dass seine Art schon etwas gewöhnungsbedürftig ist.“ 

Ein verständnisloses „warum“ huschte über Natalias rosarote Lippen. Katharina neigte den Kopf etwas zur Seite und brummte: „Nun ja, bei ihm weiß man nie, ob er etwas ernst meint, oder einen Scherz macht.“, gestand sie ihren Zwiespalt. „Aber gerade das ist doch das Interessante an ihm.“, lobte Natalia die Vorzüge des jungen Mannes. Katharina schmunzelte etwas provokant: „Willst Du denn, dass ich Ernesto interessant finde?“ „Äh“, überlegte Natalia unschlüssig, „nein, eigentlich nicht.“ 

Katharina beobachtete Ernesto Guevara, der soeben mit einer schlanken Schwarzhaarigen flirtete. Natalia schubste ihre Freundin ungeduldig an: „Was ist? Woran denkst Du?“ Katharina zögerte ein wenig, ehe sie mit der ehrlichen Antwort herausrückte: „Glaubst Du, dass er schon einmal mit einem Mädchen geschlafen hat?“ Natalia reagierte ein wenig erstaunt über die neugierige Frage ihrer Schulkameradin, antwortete dann aber dennoch nach bestem Wissen und Gewissen: „Es ist zwar nur ein Gerücht, aber ein Freund einer Freundin hat mir erzählt, dass Ernesto angeblich mit seiner ‚Negra‘ das erste Mal Sex gehabt hatte.“ 

Katharina dachte angestrengt über das Wort „Negra“ nach. Dabei konnte es sich nur um eine Hausangestellte handeln. Sie musste unverzüglich an jene junge Frau denken, die sie bei den Guevaras gesehen hatte. Ihre verblüffte Frage nach der verdächtigten Person wurde von Natalia mit einem vorsichtigen Nicken bestätigt und mit einem weiteren pikanten Detail gewürzt: „Angeblich hat Carlos Ferrer“, sie deutete dabei mit dem Zeigefinger auf einen nicht besonders attraktiven, aber schlanken jungen Mann im Raum, „auch genau mit dieser Negra geschlafen.“ 

Katharinas Augen weiteten sich zu fast tennisballgroßen Kugeln: „Beide hatten mit der gleichen Frau Sex?“ Natalia rückte die wilden Fantasien ihrer Freundin ein wenig zurecht: „Im Abstand von ein paar Monaten oder so, nicht gleichzeitig.“ „Stört Dich das gar nicht, dass Ernesto schon diesbezügliche Erfahrungen hat?“, forschte Katharina nun unschuldig weiter. Natalia schüttelte amüsiert den Kopf: „Stören? Nein, ganz im Gegenteil. Männer müssen doch mehr Erfahrung mitbringen, daher haben die meisten von ihnen ja ihren ersten Sex mit Professionellen oder ihren Hausmädchen. Wenn beim ersten Mal beide völlig ahnungslos sind, der Mann und die Frau, dann kann das ja nur ein Reinfall werden.“, erklärte Natalia mit gnadenlosem Selbstverständnis. 

Katharina verschlug es ob dieser pragmatischen Sichtweise die Sprache. Diese kurze Schweigesekunde nütze Natalia aber, um auf ihr eigentliches Anliegen zu sprechen zu kommen: „Sag‘, kannst Du Matías nicht ein bisschen über Ernesto aushorchen?“, bat sie mit unwiderstehlichem Dackelblick. Katharina wiederholte fassungslos: „Was bitteschön meinst Du mit aushorchen?“ „Ich würde gerne wissen, ob mich Ernesto sympathisch und attraktiv findet.“, gestand Natalia frei heraus. 

Katharina seufzte jedoch ablehnend: „Und wie bitte soll ich das anstellen? Dazu müsste ich erst mal schaffen, Matías unter vier Augen zu sprechen, aber dazu komme ich ja nicht.“, warf sie ihrer lästigen Freundin mit anklagendem Unterton vor. Natalia lächelte geheimnisvoll: „Kein Problem, das kann ich schon irgendwie arrangieren.“ Noch ehe Katharina dagegen protestieren konnte, war ihre Freundin bereits im Getümmel der Jugendlichen verschwunden.

(Ende Teil 32 / Fortsetzung folgt)

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