KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (33) © 2009, Sonja Hubmann
Als Katharina nun nach Matías Ausschau hielt, musste sie jedoch feststellen, dass er ihr offensichtlich abhandengekommen war. Etwas verloren sah sie sich unter den zahlreichen, ihr Großteils unbekannten Menschen um. Wo zur Hölle war Matías? Sie versuchte angestrengt den blonden Jungen unter all den dunkelhaarigen Gästen ausfindig zu machen, aber vergebens. Gerade, als sie sich auf die Suche nach ihm machen wollte, tippte ihr jemand freundschaftlich auf die Schulter. Katharina wandte sich um und sah in zwei glänzend schwarze Augen. Es waren jene von Ernesto Guevara, der einen etwas unscheinbaren Teenager im Schlepptau hatte.
„Darf ich Dir meinen Freund Calica Ferrer vorstellen?“, fragte er höflich und schob den nicht so gutaussehenden Jungen vor sich her. Obwohl sie im Haus der Guevaras erfahren hatte, dass Calica um ein Jahr jünger als Ernesto war, so wirkte er durch seine hohe Stirn und das eher asymmetrische Gesicht doch um einiges älter als sein sportlicher Freund. Katharina reichte ihm lächelnd die Hand und stellte sich wie selbstverständlich als „Catalina“ vor. Nach ein paar belanglosen Begrüßungssätzen musterte Calica den Frauenschwarm an seiner Seite von oben bis unten und grinste schließlich sarkastisch: „Na? Heute siehst Du ausnahmsweise einmal ganz zivilisiert aus.“
Ernesto nahm dieses Pseudo-Kompliment gelassen entgegen. Katharina wunderte
sich jedoch halblaut: „Was hast Du denn normalerweise an?“ Ernesto zuckte unschuldig
die Schultern und überließ Calica die freche Antwort: „Sonst trägt er zumeist
seinen „Ist-mir-doch-egal-wie-ich-aussehe-Look“, kicherte er amüsiert. Katharina
schmunzelte gezwungen. Obwohl sie bereits wusste, dass sich die beiden in Alta Gracia
kennengelernt hatten, gab sie sich dennoch unwissend und erkundigte sich beiläufig:
„Woher kennt ihr euch?“ Ernesto holte tief Luft und begann die Erklärung mit einem
langgezogenen „pff“. Calica hingegen antwortete prompt: „Wir kennen uns aus Alta
Gracia. Ich war damals drei und er …“,
pausierte er nachrechnend. Katharina, die gerade die Zahl vier nennen wollte, verkniff
sich diese verräterische Preisgabe ihres Wissens aber zum Glück noch rechtzeitig.
„Vier“, lautete schließlich Ernestos einsilbige Replik.
Als er gedankenverloren an seinem Weißwein nippte, bekam sein Blick plötzlich wieder etwas Mildes, nahezu Verträumtes. Er seufzte tief: „Erinnerst Du Dich noch an die Sommer, die wir in den Bergen von Alta Gracia verbracht haben?“ Calica nickte mit einem verschmitzten Lächeln und wandte sich an Katharina: „Ernesto hat immer Reißaus genommen, wenn ihn sein Vater für irgendeine Schandtat bestrafen wollte, aber erwischt hat er ihn nie.“ Ernesto stimmte lächelnd zu: „Nicht einmal unser Marathonläufer Zacarías, der damals um einiges älter war als ich hat mir damals folgen können.“
„Das war der, der uns immer diesen Honigkuchen verkaufen wollte, richtig?“, vergewisserte sich Calica und wandte sich erneut an die hübsche 15jährige: „Mit Ernesto war es jedenfalls nie langweilig. Er hat immer die wildesten Ideen gehabt und die gefährlichsten Sachen gemacht.“ Katharina hob neugierig die Brauen: „Was denn zum Beispiel?“, verlangte sie nach den Details. Calica, der scheinbar Gefallen an der Unbekümmertheit der jungen Dame gefunden hatte, erzählte bereitwillig davon, dass sein draufgängerischer Freund Kreide gegessen und Tinte getrunken hatte, nur weil er damals beweisen wollte, dass man daran nicht starb.
Eine weitere Erzählung handelte davon, dass
Ernesto über ein schmales Eisenrohr balanciert war, das sich über einem Abgrund
befunden hatte und er durchaus hätte dabei sterben können. Katharina konnte über
so viel Leichtsinnigkeit nur staunen. Auf die Frage, was ihn zu derartigen
Mutproben getrieben haben mochte, antwortete Ernesto unschuldig: „Keine Ahnung,
mich interessiert einfach, wie weit man gehen kann, wo seine eigenen Grenzen liegen
und was alles machbar ist.“
(Ende Teil 33 / Fortsetzung
folgt)
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