KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (34) © 2009, Sonja Hubmann

Calica fiel aber schon die nächste Begebenheit ein, die er Katharina nicht vorenthalten wollte: „Wir haben als Kinder immer in den Gebüschen des Golfplatzes von Alta Gracia gespielt“, begann er und richtete seinen Blick auf Ernesto, „erinnerst Du Dich?“ Ernesto nickte und erzählte die Geschichte weiter: „Dort lagen immer ein paar verschossene Golfbälle. Wir haben diese Bälle dann eingesammelt und sie den miserablen Golfschützen bei geeigneter Gelegenheit wiederverkauft.“, berichtete er mit stolz geschwellter Brust. Calica schmunzelte: „Ja, das ging ein paar Mal so hin und her.“ 

Katharina musterte die beiden gut trainierten Jungs und vermutete anerkennend: „Habt ihr auch Golf gespielt? Ihr seht beide recht sportlich aus.“ Calica bedankte sich mit einem fast schüchternen Lächeln für dieses Kompliment. Aber auch Ernesto war sichtlich geschmeichelt und nickte: „Ja, ich hatte das Glück sehr viele Sportarten ausprobieren zu dürfen. Im Schwimmen hatte ich sogar einen argentinischen Meister an meiner Seite. Carlos Espejo brachte mir den Schmetterlingsstil bei.“ Katharina versuchte einen möglichst beeindruckten Gesichtsausdruck zu simulieren, da ihr der Name Carlos Espejo vollkommen unbekannt war. 

Calica Ferrer assoziierte damit jedoch eine weitere Geschichte: „Erinnerst Du Dich noch an diesen Wettbewerb, bei dem Du plötzlich diesen Asthmaanfall hattest?“, fragte er reminiszierend. Ernesto neigte den Kopf schelmisch zur Seite und knurrte mit gespieltem Ärger: „Ich weiß nur, dass Du damals gewonnen hast.“ Calica schob seine schmale Unterlippe nach vorne und gestand: „Aber besonders gefreut habe ich mich über diesen Sieg damals nicht.“ Katharina lächelte etwas verstört, da sie nicht genau wusste, wie sie diese Erzählung kommentieren sollte. Calica schien die Zurückhaltung der jungen Dame jedoch durchaus zu gefallen. Irgendwie wollte er ihr zwar gerne ein Kompliment machen, aber heraus kam eine weitere Episode aus Alta Gracia: „Apropos Sieg“, äugte er grinsend zu Ernesto, „erinnerst Du Dich noch an die Fähnchen auf der Landkarte?“ 

Katharinas leerer Blick forcierte Calica zu einer Zusatzerklärung: „Äh, wir haben immer den Krieg zwischen Bolivien und Paraguay nachgespielt.“ Die dunkelbraunen Augen des Mädchens weiteten sich daraufhin nur noch mehr und veranlassten sie zu einer gemurmelten Bemerkung: „Ein Krieg zwischen Paraguay und Bolivien.“ Sie versuchte sich angestrengt daran zu erinnern, ob sie jemals von einem Krieg zwischen diesen beiden Ländern gehört hatte. Nein, hatte sie ganz bestimmt nicht. Ernesto schien ihre Unsicherheit jedoch telepathisch erfasst zu haben. 

Mit einem charmanten Lächeln ließ er seine Augen über die schlanke 15jährige gleiten und lächelte verzeihend: „Nur, falls Du Dich jetzt fragen solltest, wann dieser Krieg gewesen ist, dann kann ich Dir Folgendes dazu sagen … also, falls es Dich überhaupt interessiert.“, fügte er noch unschlüssig hinzu. „Doch, interessiert mich.“, kam es wie aus der Pistole geschossen über ihre zartrosa Lippen. Ernesto verriet ihr daraufhin die Kurzfassung: „Der fand von 1931 bis 1934 statt. Bolivien, das ja bekanntlich keinen Zugang zum Meer hat, weil es im Landesinneren liegt, wollte sich mit der militärischen Unterstützung der Vereinigten Staaten diesen Zugang verschaffen.“ „Warum das?“, warf Katharina eine Zwischenfrage ein. Calica raunte geheimnisvoll das Wort „Erdöl“. 

Ernesto fuhr indessen mit seiner Erläuterung fort: „Dass die USA von einem Sieg Boliviens profitiert hätten, liegt natürlich auf der Hand.“ Calica bekräftigte jedoch erleichtert: „Aber zum Glück hat ja Paraguay gewonnen.“ Katharina, die nun verstanden hatte, worum es ging, zog daraus ihre Schlussfolgerung: „Ich nehme an, ihr seid somit auf der Seite von Paraguay gestanden.“ Ernesto schmunzelte triumphierend: „Tja, ich verliere nun mal nicht gerne.“ 

Noch ehe Calica aber eine weitere Anekdote zum Besten geben konnte, hatte sich wie aus dem Nichts ein attraktives Mädchen an Ernestos Seite geschlichen und bat ihn frech und selbstbewusst um einen Tanz. Der offensichtliche Nichttänzer lehnte dieses freundliche Angebot jedoch rundweg ab: „Sorry, aber ich tanze nicht.“, lautete seine offenherzige Entschuldigung. Die junge Dame wollte jedoch nicht so rasch aufgeben und versuchte es mit einer neuerlichen Frage: „Warum denn nicht?“ Ihr verführerischer Augenaufschlag schien bei Ernesto jedoch wenig Wirkung zu zeigen. 

Abermals begründete er seine Entscheidung: „Ich kann nicht tanzen.“ Diesmal versuchte es die tanzwütige Schwarzhaarige mit enttäuschtem Schmollmund: „Echt nicht? – Das ist überhaupt nicht schwer. Ich kann es Dir beibringen.“, frohlockte sie beharrlich. Ernesto lehnte aber auch diesen Vorschlag höflich ab. Katharina tat die zurückgewiesene Schönheit fast ein wenig leid und auch Calica empfand Erbarmen mit dem armen Wesen. Natürlich ergriff er sofort die Gelegenheit, der hübschen Tanzmaus seinen Arm anzubieten: „Würdest Du mir die Ehre erweisen?“, wollte er galant wissen. 

Das Mädchen warf Ernesto noch einen strafenden Blick zu und ergriff notgedrungen Calicas Arm. Da sich die beiden in Richtung Tanzfläche begaben, fand sich Katharina nun mit Ernesto alleine gelassen. 

(Ende Teil 34 / Fortsetzung folgt)

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