KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (35) © 2009, Sonja Hubmann

 In Ermangelung eines besseren Gesprächsthemas stellte sie ihm eine Verlegenheitsfrage: „Wie kommt’s, dass Du nicht tanzen kannst, wo Du doch so viele verschiedene Sportarten betreibst?“ Ernesto antwortete unbekümmert und ehrlich: „Ich bin einfach unmusikalisch. Tanzen hat etwas mit Rhythmus zu tun und der fehlt mir komplett.“, gab er unumwunden zu und konterte sofort mit der Gegenfrage: „Tanzt Du gerne?“ Katharina wollte spontan „ja“ oder „nein“ sagen, aber sie ertappte sich dabei, dass sie dies selbst nicht genau wusste. Während sie noch darüber grübelte, platzte plötzlich eine weitere Person in die Konversation der beiden. Ernesto stellte ihr den schon etwas älteren Jungen als „Alberto Granado“ vor. 

Katharina rief sich sofort Tomás Granado in Erinnerung, der bei den Guevaras zum Essen eingeladen gewesen war. Offenbar handelte es sich bei Alberto um dessen Bruder. Sie erfuhr im Laufe des Small-Talks, dass es noch einen dritten „Granado-Bruder“ namens Gregorio gab. Alberto war ein recht unterhaltsamer Geselle, der durchaus gute Geschichten erzählen konnte, unter anderem berichtete er auch über eine, die er mit Ernesto erlebt hatte: „Und dann wurde ich im November 1943 bei dieser Demo gegen die Regierung festgenommen. Ernesto und Tomás haben mich nahezu täglich in meiner Zelle besucht, aber als Tomás schließlich vorschlug, eine weitere Demonstration zu veranstalten, um mich und die anderen Inhaftierten frei zu bekommen, da sagt Ernesto doch glatt …“, er äugte zu seinem langjährigen Freund, der ohne Reue seine Aussage von damals wiederholte: „… der Marsch ist eine unnötige Geste und ich gehe nur mit einem Revolver!“ 

„Ehrlich?“, staunte Katharina verblüfft, da sie nachempfinden konnte, wie geschockt Alberto über diesen Satz gewesen sein musste. Alberto hatte seinem Freund aber ganz offensichtlich verziehen und wechselte nun spontan das Thema: „Wie geht es Deiner Mutter?“ Ernesto atmete kurz durch und antwortete schließlich: „Ja, ganz gut.“ Katharina, die keine Ahnung hatte, worauf sich Alberto mit seiner Frage bezog, hakte vorsichtig nach: „War sie krank?“ Ernesto schüttelte den Kopf und informierte die Unwissende mit leichter Betroffenheit: „Sie hatte vor etwa acht Monaten eine Brustkrebs-Operation.“ „Oh“, hauchte das Mädchen mitfühlend, „das tut mir leid.“ 

Mitten in die kurze Gedenkpause drängte sich nun eine weitere Tanzwillige: „Hallo, hast du Lust, mit mir zu tanzen?“, bat sie Ernesto mit gekonntem Augenaufschlag. Katharina schmunzelte, da sie die Antwort bereits kannte. Der gutaussehende junge Mann vertröstete das etwas bummelige Mädchen auf ein anderes Mal: „Vielleicht zu meinem Geburtstag.“, versuchte er Zeit zu gewinnen. „Wann ist denn der?“, erkundigte sich die mollige Teenagerin und stützte dabei erwartungsvoll die Hand in ihre pralle Hüfte. Ernesto gab bereitwillig Auskunft: „Am 14. Juni. Es wird bestimmt ein großes Fest geben.“ 

Das abgewiesene Mädchen versuchte nach dieser etwas kryptischen Abfuhr möglichst Haltung zu bewahren und hielt, da auch Alberto keine Tanzlust zeigte, nach einem weiteren Opfer Ausschau. Ernesto wandte sich lächelnd an Katharina und wiederholte seine Einladung: „Du kannst natürlich auch gerne zu meiner Geburtstagsparty kommen.“ Katharina bedankte sich mit einem geschmeichelten Lächeln, doch noch ehe sie etwas darauf erwidern konnte, tauchte fast wie aus dem Nichts heraus Matías an ihrer Seite auf und strahlte sie an: „Wie wär‘s mit einem Tänzchen?“ 

Katharina starrte zunächst etwas perplex in seine tiefblauen Augen und hatte sogleich die etwas unbehagliche Vermutung, dass vielleicht ihre Freundin Natalia hinter diesem spontanen Antrag stecken könnte, getraute sich aber freilich nicht, Matías direkt darauf anzusprechen. Ohne Ernesto oder Alberto einen weiteren Blick zu schenken, folgte sie dem sportlichen Jungen wie ferngesteuert aufs Tanzparkett. Obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte, ob sie jemals Tango getanzt hatte, gelangen ihr die „Voleos“, „Ochos“ und „Quebrados“ doch recht gut. 

Sie führte diese Tanzfiguren mit einer derartigen, spielerischen Leichtigkeit aus, dass sie von ihrem verborgenen Talent selbst ganz überrascht war. Sie genoss es, sich im Rhythmus der Musik zu drehen und sich von ihrem gutaussehenden Partner führen zu lassen und ihm dabei immer näher zu kommen. Katharina empfand in seiner Nähe sofort eine wohlige Wärme, die ihr ein süßes Herzklopfen bescherte. In dem diffusen Licht der kunstvoll gestalteten Deckenbeleuchtung, glänzten die Augen ihres Tanzpartners wie zwei dunkelblaue Saphire. 

Als soeben ein neues Gesangsstück aus dem Radio erklang, bemerkte Katharina hellhörig: „Das Lied kenne ich. Das habe ich unlängst schon mal gehört.“ Matías sah sie mit einigem Unverständnis an und runzelte die Stirn: „Äh, das ist aber gerade eine Neuvorstellung von ‚Pichuco‘. Das Lied heißt ‚Yuyo Verde‘ und sie spielen das gerade zum ersten Mal im Radio.“ Katharina kam ein wenig aus dem Rhythmus und gab ein verdutztes „oh“ von sich. Wie konnte das denn sein?  „Von wem ist es?“, überzeugte sie sich sicherheitshalber ein weiteres Mal. 

Matías wiederholte den zuvor gesagten Namen und fügte noch hinzu: „Eigentlich heißt er ja Aníbal Troilo, aber bekannter ist er unter ‚Pichuco‘.“ Hm, Katharinas Gedächtnis streikte. Obwohl sie nach wie vor sicher war, diese Melodie erst vor Kurzem gehört zu haben, antwortete sie schließlich entschuldigend: „Tja, dann klingt es vermutlich wie eines, das ich kenne.“ Matías zuckte belanglos die Schultern und reichte ihr nach der kurzen Unterbrechung seinen Arm für die nächste Tangofigur. 

(Ende Teil 35 / Fortsetzung folgt)

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