KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (37) © 2009, Sonja Hubmann


In diesem Augenblick wurde die idyllische Zweisamkeit der beiden aber durch einen hageren Eindringling gestört, der ganz offensichtlich Teile ihrer vertraulichen Unterhaltung mit angehört hatte. In eher schlechtem Spanisch mischte sich der mitteilungsbedürftige Partygast in das Gespräch der beiden: „Mein Vater ist auch aus Deutschland geflohen, aber erst vor zwei Jahren.“, begann er seine Erzählung. Katharina warf dem unerwünschten Störenfried einen bösen Blick zu, den dieser jedoch überhaupt nicht wahrzunehmen schien. 

Ungerührt nippte er an seinem Glas Wein und wartete geduldig auf eine Reaktion. Im Gegensatz zu Katharina erkundigte sich Matías sofort mitfühlend: „Ist Dein Vater auch vor dem Holocaust geflohen?“ Der dunkelhaarige Partybesucher schüttelte provokant den Kopf: „Nein, er war ein Nazi!“ Katharinas Augen weiteten sich erschrocken. Ihr Blick fiel auf Matías, der diese Aussage jedoch gelassen entgegennahm. Der fremde Junge lehnte immer noch am Türstock und rechtfertigte die Wehrmachtszugehörigkeit seines Vaters mit stolzem Blick: „Er hat für eine gerechtere Welt gekämpft. Er wollte für seine Familie und sein Vaterland nur das Beste! Dass diese schreckliche Geschichte mit den Juden in den Konzentrationslagern passiert ist, davon wusste er damals als Frontsoldat nichts.“ 

Matías wollte jedoch mit dem fast zerbrechlich wirkenden Exil-Deutschen keine Diskussion anfangen. Er seufzte schulterzuckend: „Ich bin froh, dass dieser Krieg vorbei ist. Er hat nur Leid und Verderben gebracht, auf allen Seiten.“ Der lästige Türsteher, der sich etwas nervös eine vorwitzige Haarsträhne aus seiner hohen Stirn strich, verspürte aber offensichtlich immer noch den Wunsch, seine politischen Ansichten klar zu stellen: „Mein Vater hat nur die Befehle seiner Vorgesetzten befolgt.“ 

In Katharinas Gehirn blitzte plötzlich ein Bild auf das sie irgendwann einmal gesehen haben musste – völlig entkräftete und abgemagerte Menschen in einem Konzentrationslager – vielleicht in einem Buch, einer Nachrichtensendung? Sie richtete sich in ihrem Stuhl kerzengerade auf und konterte streng: „Aber das was den Juden von den Nazis angetan wurde, ist dennoch nicht entschuldbar.“ Matías legte beschwichtigend seine Hand auf ihre Schulter, aber zu spät. 

Das Mädchen griff den harmlos dastehenden Nazi-Sohn erneut verbal an: „Nur, weil Dein Vater keinen Juden getötet hat, heißt das noch lange nicht, dass er unschuldig ist.“ Dieser Vorwurf ließ nun aber auch ihren Kontrahenten etwas lauter werden, dessen graugrüne Augen nun wie zwei Jadesteine aufblitzten: „Denkst Du, mein Vater wollte diesen Krieg? Denkst Du wirklich, irgendjemand in Deutschland hatte diesen Krieg gewollt? Er kam schleichend, begleitet von vielen Lügen und einer gewaltigen Propaganda-Maschinerie, so wie das bei allen Kriegen der Fall ist.“, wagte er den Versuch einer lautstarken Erklärung. 

Dies weckte allerdings erneut Katharinas Widerspruchsgeist: „Der gesunde Menschenverstand muss einem doch sagen, was Recht und was Unrecht ist.“ Nun konterte aber auch ihr Diskussionsgegner: „Wir haben gegen das Unrecht gekämpft, gegen die jüdischen Großkapitalisten und auch jene, die uns tagtäglich mit ihrer Hinterlist und ihrer Geldgier betrogen haben.“ Das Mädchen holte kurz Luft, um ein weiteres Argument zu formulieren, aber der schlanke Junge war schneller und setzte wild gestikulierend fort: „Mein Vater war genauso eine Marionette der Regierenden wie Millionen anderer Wehrmachtssoldaten auch, die tatsächlich dachten, sie würden für eine gute Sache ihr Leben riskieren.“ „Eine gute Sache? So naiv kann man doch nicht sein, oder?“, ärgerte sich Katharina erneut. 

Nun mischte sich auch noch Matías etwas energischer in den beginnenden Streit der beiden Kontrahenten und versuchte die Wogen wenigstens ansatzweise zu glätten: „Catalina! So unrecht hat er nicht. Die Mächtigen dieser Welt haben immer die Möglichkeit, das Volk durch böswillige Propaganda und Fehlinformationen zu manipulieren. Niemand kann im Vorhinein wissen, ob sich jemand zu einem Despoten entwickelt oder nicht.“ Katharina konnte nicht fassen, dass Matías ihr mit einer derart beschwichtigenden Aussage in den Rücken fiel. 

Der in der Zwischenzeit schon etwas weiter in den Raum vorgerückte Eindringling freute sich jedoch mit einem lauten „richtig“ über diesen unerwarteten Zuspruch seines Geschlechtsgenossen und setzte seine Erläuterung unverdrossen fort: „Was war denn mit den armen Frontsoldaten im Russlandfeldzug? Denkst du, dass Erfrieren so ein schöner Tod ist? Die wären gerne wieder nach Hause gegangen, aber wer sich den Befehlen widersetzte, wurde kurzerhand erschossen. Ist das vielleicht kein Unrecht? Aber diese Menschen betrauert niemand! Man hat sie unter falschen Versprechungen und Voraussetzungen in diesen Krieg getrieben und dann war es einfach zu spät.“ 

Katharina schnaubte fassungslos: „Zu spät?“, wiederholte sie kopfschüttelnd und konnte immer noch nicht begreifen, dass Matías, dessen Eltern ja vor genau diesen Nazis geflohen waren, eine dermaßen verständnisvolle Haltung zeigte. Da sie ahnte, dass dieses, aus ihrer Sicht völlig ziellose und unnötige Gespräch aber noch etwas länger dauern würde, verschränkte sie trotzig die Arme vor ihrem Körper und ließ sich in den Fauteuil zurückfallen. Ihre romantischen Gefühle, die sie soeben noch für Matías empfunden hatte, waren wie weggeblasen.

(Ende Teil 37 / Fortsetzung folgt)

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