KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (38) © 2009, Sonja Hubmann


Eher halbherzig hörte sie den beiden politisch Interessierten zu. Am Wort war nun wieder der deutschstämmige Junge, der sich ihnen soeben als Anton vorgestellt hatte: „Natürlich bin ich dafür, dass Unrecht gesühnt wird und daher finde ich die 58 Todesurteile für die Mörder von Mauthausen absolut gerechtfertigt.“ „Schade, dass in den Nürnberger Prozessen nur deutsche Kriegsverbrecher verurteilt werden. Für mich ist Franco genauso schuldig am Tod vieler Spanier.“, warf Matías mit düsterem Blick ein. 

Sein Gesprächspartner nickte enthusiastisch und verlautbarte ein pikantes Detail am Rande: „Hast Du eigentlich gewusst, dass es zwischen Hitler-Deutschland und Franco ein geheimes Militärbündnis gab?“ Matías schüttelte hellhörig den Kopf und erkundigte sich neugierig: „Woher weißt Du davon?“ Anton schmunzelte, gab seine Informationen dann aber trocken preis: „Es stand in einer deutschsprachigen Zeitung. Demzufolge gab es eine streng geheime Korrespondenz zwischen Ribbentrop und Vertretern des Franco-Regimes – ich weiß jetzt leider keine Namen – aber, es stammt aus dem Jahr 1942, bzw. ein anderes vom 9. Februar 1943. Jedenfalls steht da drinnen, dass Spanien sich verpflichtet, jeden Einfall anglo-amerikanischer Truppen auf der Iberischen Halbinsel abzuwehren. Im Gegenzug erhält Spanien Waffen und Kriegsmaterial in ausreichendem Maß.“ 

Matías überraschte das soeben Gehörte jedoch nur bedingt. Er sah seine Meinung bestätigt und seufzte: „Ich sag’s ja, Franco ist genauso ein Kriegsverbrecher wie Hitler!“ Sein Gegenüber versuchte mit einer weiteren aktuellen Meldung Trost zu spenden: „Aber dem UNO-Sicherheitsrat liegt momentan eine ziemlich dicke Anklageschrift gegen Franco vor. Vielleicht wird er ja doch in irgendeiner Form verurteilt.“ Matías lachte sarkastisch auf: „Ha, der UNO-Sicherheitsrat. Schon im März des Vorjahres wollte Frankreich eine derartige Klage einbringen, aber dies wurde unverständlicherweise vom amerikanischen Außenministerium abgelehnt. Dort hieß es, dies wäre kein Fall für den UNO-Sicherheitsrat, aber man werde jede weitere Tatsache prüfen. Das ist doch lächerlich, oder?“, regte er sich enttäuscht auf. 

Anton argumentierte jedoch weiter: „Aber in einem dieser jetzigen Dokumente wird erklärt, dass das Franco-Regime mit Hilfe deutscher Wissenschaftler Atomwaffen herstellt.“ „Das sind doch nur Hypothesen. Ich glaube nicht, dass dies zu einer Verurteilung reicht. Viel mehr Sorgen mache ich mir um die US-Armee, die begonnen hat mit V2 Raketen zu experimentieren.“ 

Katharina seufzte gelangweilt, jedoch kaum hörbar. Konnten die beiden nicht endlich ein netteres Thema anstimmen? Musste es immer über Politik und Krieg gehen? Sie hoffte, dass sich das trostlose und deprimierende Gespräch endlich einem Ende nähern würde. Anton hatte aber offenbar zu jedem Thema etwas zu sagen: „Die USA agieren doch immer extrem heuchlerisch. Ich habe gestern in der Zeitung einen Artikel gelesen, wonach der frühere Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft in Madrid, Herr Plann, eine interessante Aussage gemacht hat. Er beschuldigt die USA, den Vatikan und das englische Außenamt, mit Franco Waffengeschäfte zu tätigen, während man ihn nach außen hin mit großspurigen Worten verurteilt.“ 

„Eine gewagte Behauptung“, konstatierte Matías, fügte aber gleichzeitig hinzu „aber irgendwie würde mich dies gar nicht wundern.“ Der hagere deutsche Junge glänzte mit einer weiteren Meldung: „Murray fordert daher in einem Schreiben an Truman den Abbruch der Beziehungen zu Franco und die Anerkennung der spanischen republikanischen Regierung.“ „Wenn die USA tatsächlich Waffen und Flugzeuge an Franco liefern“, überlegte Matías stirnrunzelnd, „dann werden sie wohl kaum die Beziehungen zu ihm abbrechen, nicht einmal zum Schein.“ 

Katharina, die zwischen Langeweile und Müdigkeit hin und her gerissen war, äugte grollend in Richtung Anton. Konnte dieser Typ nicht einfach verschwinden und sie mit Matías alleine lassen? Sie sehnte sich nach der romantischen Stimmung von vorhin und betete, dass diese zwar informative aber für sie dennoch zum völlig falschen Zeitpunkt stattfindende Unterredung endlich ihr Ende finden würde. 

Die beiden diskussionsfreudigen Jung-Politiker waren nach einer guten halben Stunde Vergangenheitsbewältigung nun endlich bei der Gegenwart angelangt und debattierten über den Aufstieg des im Februar dieses Jahres gewählten Präsidenten Juan Domingo Perón und dessen Frau María Eva Duarte de Perón, kurz „Evita“ genannt. Am Wort war nun wieder der deutschstämmige Quälgeist: „Wie das hier in Argentinien mit Perón weiter gehen soll, weiß auch niemand. Manchmal habe ich das Gefühl, dass nicht er das Land regiert, sondern seine Frau!“, wetterte er erregt. 

Matías schob grübelnd die Unterlippe nach vorne: „Was meinst Du damit?“ Anton grollte anklagend: „Es ist doch lächerlich, dass diese Evita ständig etwas von einem Frauenwahlrecht und einer Gleichstellung von Männern und Frauen plappert. Das ist doch alles utopisch.“ Katharina war nach dieser infamen Aussage knapp daran, sich wieder in die Diskussion einzumischen, versuchte allerdings ihre Zunge im Zaum zu halten und überließ Matías die diplomatische Antwort: „Ich weiß nur, dass das ganze Leben von ständigen Veränderungen geprägt ist. Nichts bleibt ewig so wie es ist. Wir werden ja sehen, was uns die Zukunft bringt.“

(Ende Teil 38 / Fortsetzung folgt)

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