KATHARINA SCHLÄFT "El Che" (41) © 2009, Sonja Hubmann

Katharina zeigte sich über das Gehörte immer noch fassungslos: „Aber so ein Unrecht muss doch irgendwann gesühnt werden, oder?“ Matías stöhnte mit hoffnungsloser Miene: „In Nürnberg laufen schon seit über einem halben Jahr die Prozesse gegen die deutschen Kriegsverbrecher. Ich will gar nicht wissen, was da noch alles ans Tageslicht kommt.“ Katharina verfiel nun ebenfalls in eine leicht gedrückte Stimmung und murmelte kaum hörbar: „Diese Kriege sind alle ein Wahnsinn.“ 

Matías nickte und überlegte halblaut: „Tja, aber eigentlich wollte ich vorhin nur sagen, dass es aus diesem Grund eine Menge republikanischer Flüchtlinge gab, die von Spanien hierher nach Córdoba gekommen sind. Ernesto hat mir erzählt, dass sich viele von ihnen oft im Haus seiner Eltern, in Alta Gracia, getroffen haben.“ "Die Guevaras standen dann wo?“, fragte Katharina sicherheitshalber noch einmal nach. „Auf der Seite der antifaschistischen Republikaner, so wie auch die Ferrers.“, ergänzte Matías immer noch auskunftsfreudig und erwartete Katharinas Folgefrage, die prompt über ihre Lippen kam: „Und die Nazis konnten nach dem Krieg einfach unbehelligt hierherkommen?“, wunderte sie sich. 

Matías hatte aber auch dafür eine Erklärung: „Die meisten kamen während der Militärdiktatur von Ramón Castillo und einige gingen gleich nach Bolivien oder Paraguay.“ „Und dort hat man sie nicht verfolgt?“, wunderte sich das Mädchen mit fragendem Blick. „Tja, was soll ich sagen“, seufzte Matías, „auch in diesen Ländern gibt es Militärdiktaturen und da sind Einwanderer mit Geld immer gerne gesehen.“ Katharina erinnerte sich wieder an den Namen Perón und wollte nun wissen, wie die Menschen im Allgemeinen zu ihm standen. Matías äußerte sich dazu skeptisch: „Hm, die Studenten sind fast alle gegen ihn. Ich sehe seinen Aufstieg auch eher problematisch und ich glaube, Ernesto ebenfalls.“ 

Katharina schmunzelte mit vorgeschobener Unterlippe: „Du glaubst?“ Matías erwiderte ihr Lächeln: „Na ja, er äußert sich nicht wirklich zu politischen Themen.“, verriet er die Zurückhaltung seines Kameraden. Das Mädchen zeigte sich jedoch etwas erstaunt über diese Aussage: „Aber er hat doch so viele Bücher über Politik.“, wandte sie kurzerhand ein. „Ich weiß nur, dass Ernesto gegen den amerikanischen Imperialismus ist, aber ansonsten ist er wohl eher an Philosophie interessiert. Ich denke jedoch nicht, dass seine Bücher viel über seine Vorlieben verraten. Wie Du gesehen hast, liest er auch gerne Abenteuergeschichten und hat deshalb noch keine Weltreise unternommen“, argumentierte Matías keck. „Vielleicht kommt das ja noch“, grinste Katharina prophetisch. 

Eine kurze Schweigeminute symbolisierte schließlich das Ende der politischen Bildungsstunde. Matías sah seiner geheimnisvollen, aber zugleich unbekümmerten Begleiterin auf deren wohlgeformte Lippen, atmete kurz durch und senkte seinen nervös gewordenen Blick. Katharina konnte nur hoffen, dass er in diesen Sekunden dasselbe fühlte wie sie auch. Es war, als ob Tausende kleiner Schmetterlinge mit ihren zarten Flügelschlägen ihr Innerstes aufwühlten. Dazu kamen noch die topasblauen Augen ihres unwiderstehlichen Schwarms, die sie magisch anzogen. Die feurige Tango-Musik, die immer noch hörbar von draußen in den kleinen Raum drang, nahm sie jedoch nur unterbewusst wahr. 

Am liebsten wäre sie jetzt, in diesem Moment, auf Matías zugegangen, hätte ihn umarmt, geküsst, liebkost, aber ein neuerlicher Störenfried machte diesen Wunsch zunichte. „Wisst ihr, wo es hier zur Toilette geht?“, erkundigte sich der etwas zu klein geratene Anzugträger. Matías zögerte den Bruchteil einer Sekunde, trat dann aber hilfsbereit auf den Gang hinaus und deutete dem verzweifelten Jungen den Weg. Katharina war den beiden gefolgt und musste nun gemeinerweise feststellen, dass sich bei ihr gerade Kopfschmerzen anmeldeten. Nicht jetzt, fluchte das Mädchen unhörbar und fixierte den dicken Zigarrenrauch, der sich übelriechend und schwer durch die Räume wälzte. 

Ihr blieb nichts anderes übrig, als Matías in ihre momentane Befindlichkeit einzuweihen, da sie befürchtete, dass dieses Pochen, Hämmern und Klopfen in ihrem Kopf noch schlimmer werden würde. Ihr Tanzpartner reagierte aber sofort mit Empathie: „Wenn es vom Zigarrenrauch ist, dann tut Dir etwas frische Luft vielleicht ganz gut.“ Katharina seufzte zerknirscht: „Dabei fängt die Party doch erst an.“ Ihr Blick fiel in diesem Moment auf ihre Freundin Natalia, die sich immer noch um Ernesto bemühte. 

Katharina winkte sie kurz zu sich und beklagte ihre Kopfschmerzen. Natalia nickte verständnisvoll und grinste im Flüsterton: „Tja, Du hast ja schon einen tollen Begleiter gefunden. Wenn ich Ernesto auch endlich dazu bringen könnte, mit mir nach draußen zu gehen.“, lamentierte Natalia ein wenig neidisch. Katharina legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter: „Das wird schon noch. Wir sehen uns spätestens morgen in der Schule.“, verabschiedete sie sich mit leidendem Blick. 

(Ende Teil 41 / Fortsetzung folgt)

 

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