KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (1) © 2009, Sonja Hubmann


Episode 2: „Venedig in Wien“


In der Schulkantine angekommen, entdeckte Katharina tatsächlich ihren um zwei Jahre älteren Schwarm Marcel, der sich angeregt mit jener schlanken Blondine unterhielt, mit der sie ihn schon im Schulhof gesehen hatte. Katharina schenkte ihrer Klassenkameradin Nadine einen enttäuschten Blick und versuchte sich mit einem Automatenkaffee zu trösten. „Geht das nicht ein bisschen schneller?“, wurde sie plötzlich von einer unangenehm klingenden Mädchenstimme zur Eile gemahnt. Auch ohne sich umzudrehen, wusste Katharina wer hinter ihr stand. Es war Jasmin, die gelangweilt an einer Strähne ihres langen, schwarzen Haares herumfingerte. 

„Ich hab diesen Automaten nicht erfunden!“, verteidigte sich Katharina nun ähnlich schlecht gelaunt. Es dauerte jedoch nicht lange, bis nun auch noch das zweite Übel herannahte. Die dickwanstige Klara beanspruchte ebenfalls ein Heißgetränk und stupste ihre Busenfreundin Jasmin kurz an: „Hey, drück mir auch einen runter – Kaffee Latte mit extra Zucker“, gab sie ihre Bestellung auf. Jasmin murrte ein flüchtiges „okay“ und versuchte sich die Wartezeit mit ungeduldigen Seufzern zu verkürzen. In diesem Augenblick erschien nun auch noch Nadine, die sich bei Katharina nach der nächsten Stunde erkundigte: „Sag‘ mal, welches Fach haben wir jetzt?“ 

Da ihre Schulkollegin aber mit der Entnahme des Kaffeebechers kämpfte, übernahm Klara die Antwort und brummte genervt: „Geschichte“. Dies wiederum versetzte Jasmin in Angst und Schrecken. Entsetzt stöhnte sie: „Ach, du Scheiße, ich hab die Hausaufgabe nicht gemacht!“
„Wir hatten in Geschichte eine Hausaufgabe?“, wunderte sich Katharina erstaunt, die nun endlich als Siegerin im Kampf mit dem Becher hervorgegangen war. „Sag bloß, Du hast sie schon wieder nicht gemacht!“, grollte Nadine maßregelnd, während Katharina einen hektischen Schluck aus dem noch viel zu heißen Becher nahm und zusammenzuckte: „Autsch, heiß – verdammt!“, schimpfte sie und ergänzte ärgerlich, „ich hab auf diese blöde Aufgabe tatsächlich vergessen!“ 

Jasmin reagierte ihrerseits jedoch ähnlich erschrocken und erhoffte sich nun von Klara die notwendige Unterstützung: „Du musst mich abschreiben lassen, unbedingt!“, forderte sie in einem Anfall aus Verzweiflung und Panik. Klara lehnte jedoch unmissverständlich ab: „Das geht nicht. Wenn wir dieselbe Geschichte haben, dann fällt das doch auf.“ Dieses Argument leuchtete auch Katharina ein, die gerade im Begriff gewesen war, einen ähnlichen Gedanken zu formulieren. 

Nadine bewahrte jedoch Ruhe und warf einen kurzen Blick auf die große Kantinenuhr. Schließlich verlautbarte sie entschlossen: „Okay, Kathi, uns bleiben noch 15 Minuten. Ich versuche noch schnell im Internet etwas über das 19. Jahrhundert heraus zu finden und Du kannst Dir als Anregung schon mal meine Geschichte durchlesen.“ Sie drückte Katharina ihr Schulheft in die Hand und verschwand wie der Blitz durch die offene Kantinentüre.

Jasmin aber hatte beim Anblick der Schüler aus der siebenten Klasse, zu denen auch Marcel zählte, einen anderen, wie ihr schien, besseren Plan. Selbstbewusst drängte sie sich zwischen den schlanken Jungen und seine blonde Gesprächspartnerin, die daraufhin einen Schritt zur Seite wich. Mit verzweifeltem Dackelblick und samtweicher Stimme begann Jasmin das Gespräch: „Hallo, Du bist doch zwei Klassen über mir, stimmt’s? Da habt ihr doch bestimmt schon etwas über das Wien des 19. Jahrhunderts durchgenommen, oder?“ 

Nachdem Marcel jedoch keine wahrnehmbare Reaktion zeigte, fuhr sie sich langsam mit der Zunge über ihre vollen Lippen und kam zum Kern des Problems: „Wir sollen über diese Zeit irgend so eine doofe Geschichte schreiben, aber ich hab leider keine Ahnung was im 19. Jahrhundert alles in Wien los war. Und dazu kommt noch, dass jetzt gleich die Stunde anfängt. Kannst Du mir bitte helfen? Bitte, bitte!“, flehte sie den gutaussehenden Jungen an. Marcel, der sich von der hübschen Schwarzhaarigen etwas überrumpelt fühlte, versuchte dieses Ansinnen auf einen seiner Klassenkameraden abzuwälzen: „Äh, Sascha war immer sehr gut in Geschichte. Vielleicht könnte er …“ 

Der vollschlanke Junge namens Sascha unterbrach ihn jedoch mit einem breiten Grinsen: „Nein, nein, mein Lieber, die Kleine hat Dich gefragt und Du wirst doch einer so süßen Maus keine Abfuhr erteilen, oder?“ Marcel räusperte sich und sah zu Katharina hinüber, die seinen Blick zwar fühlen konnte, aber es nicht wagte aufzusehen. Sie tat so als wäre sie vollkommen in Nadines Geschichte vertieft. Im Grunde ihres Herzens allerdings ärgerte sie sich, dass sie nicht den Mut gehabt hatte ihn um Hilfe zu bitten.

(Ende Teil 1 / Fortsetzung folgt …)

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