KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (11) © 2009, Sonja Hubmann
Davon jedoch unbeeindruckt wanderte sie tapfer durch die ihr teilweise unbekannt anmutenden Straßenzüge weiter. Plötzlich jedoch vernahm sie ein schrilles Glockengebimmel im Hintergrund. Als sie sich umdrehte, entdeckte sie eine von Pferden gezogene Tramway, die lautstark auf sich aufmerksam machte. Da sich Katharina nicht schon wieder in unnötige Gefahr begeben wollte, wartete sie nun artig, bis das Gefährt an ihr vorübergezogen war.
Sie trottete weiter und versuchte die Lufttemperatur von gefühlten zwölf Grad zu ignorieren. Abermals streifte ihr Blick zwei Plakate. Eines kündigte einen „Affen – Ponny und Hunde-Circus“ an und das andere warb mit einem großen Anker für Brot. „Essen Sie Brot – Anker“, war darauf zu lesen. Sie überquerte wie geplant die Ferdinandsbrücke und spazierte die schier endlos scheinende Praterstraße entlang, als sie plötzlich wie gebannt auf ein stählernes Ungetüm am Horizont starrte. Da war es, in fast greifbarer Nähe: Das Riesenrad!
Das drahtige Monster überblickte wie ein stummer Gigant ganz Wien. Aber
irgendwas fehlte doch daran. Katharina dachte angestrengt nach, was sie an
diesem unübersehbaren Bauwerk vermisste. Na klar, die Waggons! Da waren weit
und breit keine Waggons zu sehen, nur ein nacktes, kreisförmiges Gerüst. Hatte
man die Waggons etwa zu Wartungszwecken abmontiert? In ihrer Erinnerung gab es
15 rote Waggons, die sich eigentlich rund um das Rad drehen sollten, aber hier
drehte sich gar nichts. Hm, vielleicht hatte sie einmal eine Zeichnung oder ein
Gemälde des fertigen Modells gesehen? Oder verband sie diese trügerische
Erinnerung nur mit einem besonders intensiven Traum? Katharina beschloss ihr
Gehirn nicht noch stärker zu malträtieren.
Unbeirrt setzte sie ihren Marsch nach „Venedig“ fort und kam schließlich am
Praterstern an. Dort erspähte sie nun die modernere Schwester der „Pferdetramway“.
Dieses eindrucksvolle Gefährt fuhr nämlich bereits elektrisch. Katharina hätte
der so genannten „Elektrischen“ noch gerne mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht,
doch ihr Unterbewusstsein trieb sie weiter voran. Nach weiteren Minuten stand
sie dann schließlich vor einem stattlichen Renaissance-Portal. Sie näherte sich
den beiden kunstvoll verzierten Torbögen und las dabei den weithin sichtbaren
Schriftzug „Venedig in Wien“, der quer über die ganze Länge des Eingangs prangte.
Links und rechts davon stand dann etwas dezenter „Englischer Garten“ und noch
etwas weiter unten befand sich an jeder der drei kleineren Säulen das Wort
„Cassa“. Katharina fühlte sich etwas verloren und beobachtete die Menschen, die
sich durch das Tor drängten. Es waren meist Pärchen oder kleine Gruppen, die
offenbar alle in den Vergnügungspark wollten. Sie hatte zunehmend das Gefühl,
angestarrt zu werden, was vielleicht daran lag, dass sie ganz ohne Begleitung
unterwegs war.
Gerade aber, als sie ihren Blick zu Boden schweifen ließ, wurde sie plötzlich von
einer Männerstimme angesprochen: „Verzeihen Sie, Mademoiselle, aber kann ich
Ihnen vielleicht behilflich sein?“ Katharina wandte sich erschrocken um und
blickte direkt in die tiefblauen Augen eines jungen Mannes. Es war jener attraktive
Blonde, den sie zuvor schon im Kaffeehaus gesehen hatte.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen