KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (12) © 2009, Sonja Hubmann

Irgendwie erinnerten sie seine weichen Gesichtszüge an jemanden, den sie kannte, aber ihr wollte beim besten Willen nicht einfallen, an wen. Katharina bedankte sich verlegen: „Es geht schon. Ich wollte mich mit einer Freundin treffen, glaube ich.“ „Sie glauben?“, forschte der elegant gekleidete Junge und blickte ihr dabei noch tiefer in die Augen. Katharina versuchte trotz ihres eng sitzenden Mieders durchzuatmen und hob zu einem neuerlichen Erklärungsversuch an: „Also, ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob wir uns jetzt vor dem Eingang treffen wollten oder drinnen beim Riesenrad!“, gestand sie ihr inneres Debakel.

„Das ist allerdings ein kleiner Unterschied, zumal sich heute vor dem Riesenrad bestimmt viele Menschen einfinden werden.“, vermutete Markus. „Ja, ich hab gelesen, dass heute das Jubiläumsfest für die englische Königin statt finden wird.“, rief sie sich das Plakat von vorhin in Erinnerung. Der junge Mann dachte ganz offenbar über eine Lösung des Problems nach und hakte behutsam nach: „Um wieviel Uhr wollten Sie Ihre Freundin treffen?“ 

Katharina schluckte mit leerem Blick. Um wieviel Uhr? Ja, das war eine gute Frage. Irgendwie schoss ihr plötzlich die Zahl 6 durch den Kopf, die sie dann auch spontan nannte. Der adrett gekleidete Gentleman wiederholte die angegebene Uhrzeit und fand es nun an der Zeit, sich bei der hübschen Lady offiziell vorzustellen: „Gestatten, mein Name ist Markus Friedmann“
„Ähm, sehr erfreut, ich heiße Katharina. Katharina Schwarz.“, vervollständigte sie ihren Namen etwas zögerlich. 

Markus Friedmann ließ seine hellblauen Augen zwischen dem verwirrten Mädchen und dem Eingangsportal hin und her schweifen, bis er ihr schließlich seinen wohlgemeinten Vorschlag unterbreitete: „Also, wenn Sie erlauben, dann würde ich Sie gerne einladen.“ „Nein, danke, das müssen Sie nicht. Ich zahle meinen Eintritt schon selbst!“, antwortete sie selbstbewusst, obgleich sie natürlich nicht wusste, wie sie die fehlenden Kreuzer aufbringen sollte. 

Ihr galanter Verehrer lehnte aber kategorisch ab und begründete dies mit einem guten Argument: „Mademoiselle Katharina, mich kostet der Eintritt gar nichts. Ein sehr guter Bekannter meines Vaters, Herr Ludwig Gottsleben, gibt heute Nachmittag da drinnen eine Vorstellung. Ich würde Sie gerne dazu einladen.“ Katharina lächelte verlegen und wollte den jungen Mann, der sich so um sie bemühte, nicht abweisen. Geschmeichelt über so viel Höflichkeit und Charme willigte sie schließlich ein. Er bot ihr seinen Arm als Geleit an und schritt mit ihr durch den großen Rundbogen.

Sie betraten tatsächlich das Tor in eine andere Welt. Vor ihnen tat sich eine zauberhafte Lagunenstadt auf, die von smaragdfarbenen Baumriesen umringt war, deren dichtes Blätterdach sich erhaben über die Giebel der Paläste breitete. Katharina stockte für einen Moment der Atem so fasziniert war sie von der architektonischen Sinfonie aus venezianischen Bogenfenstern, Erkern und Balkonen. 

Zudem roch es herrlich nach dem saftig-frischen Grün der umliegenden Wiesen, in denen kleine Palmen und Farne ihr exotisches Flair verbreiteten. Aber auch die blühenden Ziersträucher am Wegesrand entfalteten ihr angenehmes Bouquet. Die beiden „Venedig-Reisenden“ erklommen eine steinerne Treppe, die sich zwischen zwei prunkvollen Palästen nach oben schlängelte. Markus und Katharina erreichten eine hochgewölbte, venezianische Stiegenbrücke, von der aus sie über einen der vielen Kanalarme blicken konnten. Das darin gefangene Wasser wand sich auf der einen Seite aus einem schmalen Gässchen und verschwand einige Meter weiter flussabwärts unverhofft hinter einem prunkvollen Palazzo.

„Unglaublich!“, staunte Katharina und konnte ihren Blick von dem künstlich geschaffenen Kanal kaum wenden. „Es gibt noch mehr zu sehen.“, lächelte Markus geheimnisvoll und führte die beeindruckte Mademoiselle auf der anderen Seite der Treppe wieder nach unten. 

(Ende Teil 12 / Fortsetzung folgt …)

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