KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (14) © 2009, Sonja Hubmann

 Markus schlug indessen einen Besuch bei dem Bekannten seines Vaters vor, der zu dieser Stunde eine Vorstellung im „campo primo“ geben sollte. Auf dem Weg dorthin bot er seiner durch die kühle Witterung etwas frierenden Begleiterin seinen Überrock an, den Katharina jedoch stolz ablehnte. Markus kramte stattdessen ein paar Bonbons aus seiner Jackentasche und hielt ihr das kleine Blechdöschen unter die Nase. 

„Was ist das?“, wollte Katharina vorsichtshalber wissen. „Spitzwegerich-Bonbons, die schmecken vorzüglich und beugen Husten vor.“, pries er die kleine Leckerei an. Katharina probierte eines davon, fand den Geschmack des Bonbons dann aber doch etwas eigenartig. Sie konnte sich nicht erinnern, ob sie schon jemals in ihrem Leben Spitzwegerich-Kräuter gegessen hatte oder nicht. Gerade als sie über das Bonbon in ihrem Mund nachdachte, huschte ein bunt kostümierter Serenadensänger an ihre Seite und schmachtete sie mit einer italienischen Ballade an, wobei er virtuos die Saiten seiner Mandoline zupfte. 

Katharina musste fast ein wenig lachen, so ulkig wirkte der Minnesänger. Bei jedem offenen Vokal stach er sich nahezu mit seinem hochgezwirbelten Schnurrbart in die Augen. Dabei sang er unbeirrt aus voller Kehle und tänzelte um sie herum. Markus, der dies anfangs auch noch erheiternd gefunden hatte, zog Katharina dann aber nach der dritten Verswiederholung an seine Seite und hoffte, dass sie schön langsam von den bemühten Gesangskünsten des italienischen Tenors genug hatte.

Katharina entfernte sich mit einem behaglichen Lächeln von dem nimmermüden Troubadour und ließ sich von ihrem fürsorglichen Kavalier zu einer kleinen Brücke gleiten, auf der ein Fotograf samt gewichtiger Ausrüstung Stellung bezogen hatte. Katharina und Markus beobachteten den Foto-Künstler und verfolgten mit gespannten Blicken, wie dieser sein ausgewähltes Motiv, einen schlanken Gondoliere, der gerade auf die Brücke zusteuerte, ins rechte Licht zu setzen versuchte. 

Als er endlich sein Bild auf die Fotoplatte gebannt hatte, waren seine flinken Augen schon wieder auf der Suche nach dem nächsten Motiv, das er in den beiden neugierigen Beobachtern gefunden hatte. Katharinas ablehnendes „Nein“ stieß jedoch auf keinerlei Gehör und schon war der Fotograf mit der Einrichtung seiner Linse beschäftigt. Er postierte seine beiden Modelle, die sich nach längerem Hin und Her schließlich doch zu einem Foto-Shooting bereiterklärt hatten, eng aneinander, so dass im Hintergrund der romantisch-beleuchtete Kanal zu sehen war. 

Katharina fühlte plötzlich, wie ihr Herz in der Nähe ihres attraktiven Reiseführers etwas schneller zu schlagen begann. Sie spürte nichts mehr von der an diesem Junitag herrschenden Frische. Am liebsten wäre sie noch stundenlang so neben Markus gestanden, aber nachdem der Fotograf, der sich ihnen als K. & K. Hof-Photograph Prof. Fritz Luckhardt vorgestellt hatte, auch dieses Bild zufrieden in seinen klobigen Kasten gebannt hatte, verabschiedete er sich mit bestem Dank.

Aus nächster Nähe ertönte plötzlich schon wieder der ihnen bereits bekannte Mandolinenklang, der diesmal aber zum Glück durch zwei virtuose Gitarristen unterstützt wurde. Als sich Markus in die Richtung wandte aus der er das herzhafte Spiel der italienischen Musikgruppe vernommen hatte, stellte er fest, dass sich diese mittlerweile direkt auf ihn zubewegt hatte. Auch Katharina drehte sich instinktiv um und fühlte sich fast ein wenig verfolgt. Der einsame Mandolinenspieler von vorhin hatte jetzt wohl Verstärkung geholt. 

Die illustre Gesellschaft, bestehend aus Männern und Frauen in charakteristischer Nationaltracht, tanzte und spielte mit dramatischer Lebendigkeit. Sie schienen mit ihren Grimassen und Gesten ganze Geschichten erzählen zu wollen. Besonders die Männer, die enge Bauchbinden um ihre Körpermitte gewickelt hatten, brillierten mit komischen Gesangseinlagen und rhythmischer Perfektion. 

Das Highlight in dieser venezianischen Truppe war aber zweifelsohne die dicke Tambourin-Spielerin, die am Ende der unterhaltsamen Darbietung noch stimmgewaltig die „Santa Lucia“ trällerte. Auch, wenn sie nicht jeden Ton perfekt traf, so hätte wohl keine Primadonna der Welt dieses neapolitanische Volkslied besser interpretieren können. Katharinas dunkle Augen strahlten so sehr vor Begeisterung, dass sie in ihrer Glückseligkeit sogar ihre Gedächtnislücken und den ihr nicht bekannten Grund ihres Hierseins vergaß. 

(Ende Teil 14 / Fortsetzung folgt …)

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