Markus schlug indessen einen Besuch bei dem Bekannten seines Vaters vor, der zu
dieser Stunde eine Vorstellung im „campo primo“ geben sollte. Auf dem Weg dorthin
bot er seiner durch die kühle Witterung etwas frierenden Begleiterin seinen
Überrock an, den Katharina jedoch stolz ablehnte. Markus kramte stattdessen ein
paar Bonbons aus seiner Jackentasche und hielt ihr das kleine Blechdöschen
unter die Nase.
„Was ist das?“, wollte Katharina vorsichtshalber wissen. „Spitzwegerich-Bonbons, die schmecken vorzüglich und beugen Husten vor.“, pries
er die kleine Leckerei an. Katharina probierte eines davon, fand den Geschmack des
Bonbons dann aber doch etwas eigenartig. Sie konnte sich nicht erinnern, ob sie
schon jemals in ihrem Leben Spitzwegerich-Kräuter gegessen hatte oder nicht. Gerade
als sie über das Bonbon in ihrem Mund nachdachte, huschte ein bunt kostümierter
Serenadensänger an ihre Seite und schmachtete sie mit einer italienischen
Ballade an, wobei er virtuos die Saiten seiner Mandoline zupfte.
Katharina
musste fast ein wenig lachen, so ulkig wirkte der Minnesänger. Bei jedem
offenen Vokal stach er sich nahezu mit seinem hochgezwirbelten Schnurrbart in
die Augen. Dabei sang er unbeirrt aus voller Kehle und tänzelte um sie herum.
Markus, der dies anfangs auch noch erheiternd gefunden hatte, zog Katharina
dann aber nach der dritten Verswiederholung an seine Seite und hoffte, dass sie
schön langsam von den bemühten Gesangskünsten des italienischen Tenors genug
hatte.
Katharina entfernte sich mit einem behaglichen Lächeln von dem nimmermüden Troubadour
und ließ sich von ihrem fürsorglichen Kavalier zu einer kleinen Brücke gleiten,
auf der ein Fotograf samt gewichtiger Ausrüstung Stellung bezogen hatte.
Katharina und Markus beobachteten den Foto-Künstler und verfolgten mit
gespannten Blicken, wie dieser sein ausgewähltes Motiv, einen schlanken Gondoliere,
der gerade auf die Brücke zusteuerte, ins rechte Licht zu setzen versuchte.
Als
er endlich sein Bild auf die Fotoplatte gebannt hatte, waren seine flinken
Augen schon wieder auf der Suche nach dem nächsten Motiv, das er in den beiden
neugierigen Beobachtern gefunden hatte. Katharinas ablehnendes „Nein“ stieß
jedoch auf keinerlei Gehör und schon war der Fotograf mit der Einrichtung
seiner Linse beschäftigt. Er postierte seine beiden Modelle, die sich nach
längerem Hin und Her schließlich doch zu einem Foto-Shooting bereiterklärt
hatten, eng aneinander, so dass im Hintergrund der romantisch-beleuchtete Kanal
zu sehen war.
Katharina fühlte plötzlich, wie ihr Herz in der Nähe ihres
attraktiven Reiseführers etwas schneller zu schlagen begann. Sie spürte nichts
mehr von der an diesem Junitag herrschenden Frische. Am liebsten wäre sie noch
stundenlang so neben Markus gestanden, aber nachdem der Fotograf, der sich
ihnen als K. & K. Hof-Photograph Prof. Fritz Luckhardt vorgestellt hatte,
auch dieses Bild zufrieden in seinen klobigen Kasten gebannt hatte,
verabschiedete er sich mit bestem Dank.
Aus nächster Nähe ertönte plötzlich schon wieder der ihnen bereits bekannte Mandolinenklang,
der diesmal aber zum Glück durch zwei virtuose Gitarristen unterstützt wurde.
Als sich Markus in die Richtung wandte aus der er das herzhafte Spiel der
italienischen Musikgruppe vernommen hatte, stellte er fest, dass sich diese mittlerweile
direkt auf ihn zubewegt hatte. Auch Katharina drehte sich instinktiv um und fühlte
sich fast ein wenig verfolgt. Der einsame Mandolinenspieler von vorhin hatte
jetzt wohl Verstärkung geholt.
Die illustre Gesellschaft, bestehend aus Männern
und Frauen in charakteristischer Nationaltracht, tanzte und spielte mit
dramatischer Lebendigkeit. Sie schienen mit ihren Grimassen und Gesten ganze
Geschichten erzählen zu wollen. Besonders die Männer, die enge Bauchbinden um
ihre Körpermitte gewickelt hatten, brillierten mit komischen Gesangseinlagen
und rhythmischer Perfektion.
Das Highlight in dieser venezianischen Truppe war
aber zweifelsohne die dicke Tambourin-Spielerin, die am Ende der unterhaltsamen
Darbietung noch stimmgewaltig die „Santa Lucia“ trällerte. Auch, wenn sie nicht
jeden Ton perfekt traf, so hätte wohl keine Primadonna der Welt dieses
neapolitanische Volkslied besser interpretieren können. Katharinas dunkle Augen
strahlten so sehr vor Begeisterung, dass sie in ihrer Glückseligkeit sogar ihre
Gedächtnislücken und den ihr nicht bekannten Grund ihres Hierseins vergaß.
(Ende Teil 14 / Fortsetzung folgt …)
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