KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (18) © 2009, Sonja Hubmann

Gerade, als sie so fasziniert auf die Stahl- und Eisenträger des Riesenrades starrte und immer noch das Gefühl hatte, dass sie da dennoch irgendwann einmal Waggons daran gesehen hatte, bemerkte sie plötzlich eine einfach gekleidete Dame, die fast wie aus dem Nichts neben ihr aufgetaucht war. 

Katharina schenkte ihr einen neugierigen Blick und murmelte beeindruckt: „Schon gewaltig, oder?“ Die Antwort der athletisch wirkenden Frau irritierte Katharina allerdings. „Ich möchte‘ nicht wissen, wieviel Geld dieses hässliche Monstrum gekostet hat. Geld, das man anders hätte besser verwenden können. Hier herinnen feiern die einen und draußen in den Vorstädten verhungern die anderen.“, beklagte sie die offenbar prekären Lebensumstände, unter denen etliche Menschen außerhalb des Vergnügungsparks zu leiden schienen. Unfähig darauf etwas Sinnvolles zu erwidern, stammelte Katharina betroffen: „Oh, das … ist natürlich nicht so gut … tut mir leid.“ 

Die verbitterte Dame fuhr jedoch unbeirrt fort: „Dieses Rad sollte eher ein Mahnmal sein, das auf die schlechten sozialen Verhältnisse hinweist, in denen die meisten Menschen hier leben müssen“. Irgendwie verspürte Katharina plötzlich den Wunsch für das Riesenrad Partei zu ergreifen und es zu verteidigen: „Na ja, aber es wurde doch zur Feier des 50jährigen Thronjubiläums des Kaisers errichtet, das nächstes Jahr statt finden wird. Da kommen bestimmt viele Schaulustige aus anderen Ländern hierher, um dieses Wahrzeichen zu bestaunen!“ 

Die Dame an ihrer Seite reagierte allerdings wenig verständnisvoll und schimpfte erbost: „Welches Wahrzeichen? Das wird niemals ein Wahrzeichen werden, dieses unnötige Eisengerüst!“ Obwohl das Mädchen darauf nichts mehr erwidern wollte, versuchte sie es mit einer neuerlichen Fürsprache: „Aber nächstes Jahr werden bestimmt viele Gäste kommen und das bringt dann wieder mehr Geld für die Stadt, oder?“ 

Die ihr fremde Frau schien allerdings nur fragmentarisch zugehört zu haben, da sie völlig gedankenversunken entgegnete: „Nächstes Jahr, das ist eine gute Idee. Wenn sich bis dahin nichts an der Arbeits- und Lebenssituation geändert hat, dann werde ich ein Zeichen setzen“, sie fixierte dabei den höchsten Punkt des Riesenrades und betonte nachdrücklich, „dort oben, ganz oben, im höchsten Waggon wird es dann geschehen!“ Katharina starrte auf die imaginäre Gondel, die wohl schon bald an dem Stahlgerüst hängen würde und schluckte verängstigt: „Ich glaube nicht, dass ich mich damit fahren trauen würde. Mir wird schon schlecht, wenn ich von hier aus hinaufsehe.“ 

Erstmals zeigte sich auf den schmalen Lippen ihrer sonderbaren Gesprächspartnerin ein leichtes Lächeln: „Sie sind wohl nicht schwindelfrei, was?“ „Nein, ganz und gar nicht! Sie schon?“, erkundigte sich Katharina erstaunt. Abermals schmunzelte die Frau und löste das Rätsel: „Ja, ich bin Luftakrobatin.“  „Wirklich? Das finde ich bewundernswert. Ich hätte einfach viel zu große Höhenangst.“, gab Katharina ehrlich zu, woraufhin ihr die junge Dame fast etwas zynisch die Hand auf die Schulter legte: „Das lernt man mit der Zeit!“ 

„Ich glaube, dazu muss man geboren sein“, bemerkte Katharina mit versöhnlicher Stimme, die in der zuvor noch so streitlustigen Riesenrad-Kritikerin ebenfalls eine gewisse Milde auslöste, da sie sich plötzlich freundlich vorstellte: „Mein Name ist Marie Kindl und ich war von den luftigen Höhen schon immer fasziniert!“ Katharina nannte ihr postwendend ihren vollständigen Namen, den sie offenbar nicht vergessen hatte. „Katharina Schwarz, freut mich“, antwortete sie und setzte zu einer kleinen Konversation an, „ich bin zum ersten Mal hier und ich muss sagen, dass ich wirklich sehr beeindruckt von …!“ 

Weiter kam sie jedoch nicht, da ihre enthusiastischen Ausführungen soeben von einer sonoren Männerstimme unterbrochen wurden, die aus einigen Metern Entfernung nach ihrer neuen Bekanntschaft rief: „Marie, kommst Du?“ Die Luftakrobatin entschuldigte sich bei ihrer Gesprächspartnerin höflich und eilte gehorsam zum Absender dieser Worte. Unbeachtet von Marie Kindl verebbte Katharinas so freudig begonnener Satz im Nichts: „… von den Gondeln und dem Ambiente hier.“ 

Marie Kindl hatte sich aber bereits in Luft aufgelöst und an ihre Stelle war Markus mit zwei Pappbechern getreten, der sich verwundert nach der fremden Lady erkundigte: „Wer war die Dame?“ „Keine Ahnung, eine gewisse Marie Kindl, Luftakrobatin.“, konstatierte Katharina mit hochgezogenen Brauen. Markus quittierte dies mit einem anerkennenden Nicken, kommentierte diese Begebenheit jedoch nicht weiter. 

Er überreichte Katharina das Fruchtsaftgetränk, von dem sie zunächst nur einen vorsichtigen Schluck nahm, um ihren Geschmacksnerven die Chance einer objektiven Beurteilung zu geben. Es schmeckte und somit trank sie den süßen Saft mit wohlwollendem Genuss.  

(Ende Teil 18 / Fortsetzung folgt …)

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (24) © 2009, Sonja Hubmann

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (30) © 2009, Sonja Hubmann

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (32) © 2009, Sonja Hubmann