KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (3) © 2009, Sonja Hubmann

Durch den gewölbten, mehrstöckigen Innenraum fiel das Tageslicht von oben herab in eine Art Innenhof und erhellte den gespenstisch wirkenden Raum. Blauer Zigarrendunst bahnte sich seinen Weg durch die stickige Luft und schrilles Frauengelächter übertönte das monotone Stimmengwirr der anwesenden Männer. Doch noch ehe Katharina die Besucher dieses Kaffeehauses genauer betrachten konnte, neigte sich auf einmal ein junger Mann zu ihr hinunter und hob etwas auf, das neben ihrem linken Fuß gelandet war.

„Verzeihung, Mademoiselle, aber ich glaube, Ihnen ist die Serviette zu Boden gefallen.“, lächelte der galante Bursche hilfsbereit, während er sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht strich und schließlich das weiße Stofftuch aufhob. Katharina starrte ihn entsetzt und etwas verwirrt an. Kannte sie diesen Mann? Wie hieß dieses Kaffeehaus und weshalb saß sie hier an diesem Tisch? War sie gerade gekommen oder wollte sie schon gehen? Hatte sie überhaupt etwas bestellt? Hatte sie etwas gegessen? Getrunken? 

Katharina erinnerte sich an absolut nichts, griff allerdings spontan nach der Serviette und stammelte: „Äh, danke“. In dieser Sekunde erschien der Kellner, der sich mit der Floskel "Hätten noch was wollen" nach etwaigen Wünschen erkundigte. Sie starrte auch ihn mit einigem Unverständnis an. Aus dem Wort "noch" und der leeren Kaffeetasse auf dem Tisch schloss sie, dass sie vermutlich soeben einen Kaffee getrunken und diesen wohl auch schon bezahlt hatte. Sie entschied sich somit für den Satz: „Nein, schon gut. Ich – ähm – ich wollte gerade gehen.“ Der schwitzende, gut genährte Kellner gab sich mit dieser Antwort fraglos zufrieden und wünschte der jungen Dame noch einen schönen Tag. Danach eilte er zum nächsten Tisch, um dort die Order der wartenden Gäste aufzunehmen. 

Am Tisch rechts von ihr kritzelte ein junger Brillenträger gedankenverloren ein paar Sätze auf ein leeres Blatt Papier. Katharina versuchte die Aufzeichnungen zu lesen, doch noch ehe sie die Zeilen entziffern konnte, nahm ein schon etwas älterer Gast ungefragt neben dem jungen Mann Platz und kramte ein paar gebundene Druckblätter aus seiner Tasche. Er richtete seine Bitte an den immer noch in seine Entwürfe vertieften Kaffeetrinker: „Herr Kraus, würden Sie mir bitte die Ehre erweisen, mit mir über diesen von Ihnen geschriebenen Aufsatz zu plaudern?“, bat er mit devoter Stimme und legte die Ausgabe auf den Tisch. Der Angesprochene antwortete freundlich: „Ja, gerne, nehmen Sie doch kurz Platz.“ Katharina las den Titel des Werkes: „Die demolirte Litteratur“. Hm, dachte sie, das soll ein Schriftsteller sein? Von Rechtschreibung hatte dieser Herr Kraus offenbar nicht viel Ahnung.

Als sie wieder nach vorne sah, bemerkte sie, dass ihr attraktiver Kavalier immer noch an ihrer Seite stand und sich nun mit besorgter Miene vergewisserte: „Geht es Ihnen wirklich gut?“ Katharina nickte geistesabwesend. Bevor der schlanke Mann aber eine weitere Frage stellen konnte, stolzierte plötzlich eine anmutige, junge Dame geradewegs auf ihn zu. Die dünne Schwarzhaarige bändigte ihre fülligen Locken, die sie gerade umständlich unter einen riesigen, mit hellblauen Federn bestickten Strohhut zwängte. Ihr aufreizender Blick ließ keinen Zweifel daran, dass sie den Mann an ihrer Seite für sich alleine beanspruchte. 

Sie hängte sich wie selbstverständlich bei ihm ein und drängte: „Komm, Markus, wir müssen gehen!“ Der charmante Junge namens Markus schenkte ihr ein etwas gequältes Lächeln, wobei er sich jedoch nicht davon abhalten ließ, Katharina in ihren gefütterten Schulterüberwurf zu helfen. Mit weicher Stimme erkundigte er sich ein weiteres Mal: „Fühlen Sie sich wirklich wohl?“ Katharina, der die Ungeduld seiner immer nervöser werdenden Begleiterin nicht entgangen war, bestätigte abermals: „Ja, mir war nur etwas schwindlig.“ Die hübsche Lady an Markus‘ Seite packte ihn nervös am Handgelenk und raunte: „Markus, jetzt komm schon. Lass uns endlich nach Venedig gehen!“ 

Markus befreite sich sanft aber gekonnt aus ihrem Griff. Ganz offensichtlich wollte er derjenige sein, der den Zeitpunkt des Gehens bestimmte, aber schon ein paar Sekunden später verkündete er seiner hektischen Begleiterin, dass er nun zum Aufbruch bereit wäre. Mit einem kurzen Gruß verabschiedete er sich von Katharina, die ein schüchternes "Auf Wiedersehen" hauchte und immer noch wie angewurzelt dastand. Nur langsam näherte sie sich dem Ausgang, als gerade ein etwa 40jähriger Schnauzbartträger in alten Holzsandalen über die Dielen des Kaffeehausbodens zur Tür hereinklapperte. 

Katharina widmete diesem Sonderling ihre Aufmerksamkeit. Seine unkonventionelle Bekleidung lenkte aber auch die Blicke der anderen Kaffeehausgäste auf ihn. Er trug viel zu kurze Hosen, breite Zwickerschoner, einen karierten Anzug und ein grellgelbes Hemd. Da aber keiner der Kellner Anstalten machte, diesem eigenartigen Kauz den Eintritt zu verwehren, dürfte es sich bei ihm wohl um einen Stammgast handeln. Er blickte verloren im Lokal umher und schien nach einer bestimmten Person Ausschau zu halten. 

(Ende Teil 3 / Fortsetzung folgt …)

 

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