KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (4) © 2009, Sonja Hubmann

 „Peter, hier bin ich!“, rief ihm plötzlich eine Stimme aus der hinteren Ecke des Cafés lautstark zu. Es war jener Herr, dessen Rechtschreibung Katharina gerade zuvor gedanklich bemängelt hatte. Wie hatte er noch geheißen? Kraus? Ja, das war sein Name. Der gewaltig nach Alkohol riechende Neuankömmling schlenderte leicht schwankend auf den Absender dieser Worte zu und murmelte: „Jö, der Karl Kraus, der sitzt aber auch andauernd hier herinnen.“ 

Neugierig geworden, was dieser unangepasste Typ von dem anderen wollen könnte, spitzte Katharina nun die Ohren und verfolgte den eigenartigen Mann mit ihrem Blick. „Herr Altenberg“, wurde er nun von einem der Kellner freudig begrüßt, „soll ich Ihnen das gleiche wie immer bringen?“ Der angesprochene Herr Altenberg brummte in seinen dicken Schnauzbart: „Ja, ja, wie immer.“ 

Ungeachtet des Mannes, der kurz zuvor am Tisch des Schriftstellers namens Kraus Platz genommen hatte, kramte Herr Altenberg ein paar leere Blätter aus seinem Mantel hervor, die er auf den kleinen Kaffeehaustisch platzierte. Der Mann, der eigentlich mit dem Literaten über dessen Werk „Die demolirte Litteratur“ sprechen wollte, entschuldigte sich höflich: „Ich komme etwas später wieder. Ich denke, dass Sie mit Herrn Altenberg bestimmt wichtige Dinge zu besprechen haben werden.“ Großzügig überließ er dem Neuankömmling seinen Platz, der sich wortlos setzte. 

„Na?“, begann Karl Kraus das Gespräch, „schon so früh unterwegs?“ Peter Altenberg schüttelte den Kopf: „Nein, ich wollte eigentlich nur kurz um das Café herum gehen.“ Sein Gesprächspartner musterte ihn stirnrunzelnd: „Das war aber vor mehr als sieben Stunden!“ Peter Altenberg fügte mit schelmischem Grinsen hinzu: „Na ja, scheint als hätte ich diesmal dazu etwas länger dazu gebraucht.“ Der wesentlich agiler und frischer wirkende Karl Kraus rückte seine Brille zurecht und erkundigte sich nach Altenbergs letztem Werk: „Deine Prosaskizzen sind beim Fischer Verlag auf positives Echo gestoßen. Das freut mich.“ 

Altenberg nickte etwas müde: „Ja, es ist ja doch gut, dass Du Dich meiner Werke so angenommen hast. Ohne Dich hätte mein Werk „Wie ich es sehe“ wahrscheinlich nie das Licht der Welt erblickt und um „Ashantee“ wäre es wirklich schade gewesen.“, gedachte er der vergangenen Monate. Karl Kraus erinnerte sich ebenfalls an diese Zeit: „Dieses Ashantidorf im Tiergarten muss Dich ja wirklich sehr beeindruckt haben, sonst wärst Du im letzten Jahr nicht ständig dort gewesen.“ 

In Altenbergs müdem Blick flammte plötzlich unerwartete Lebensfreude auf: „Und jedes Wort, das ich geschrieben habe, ist wahr. Das Himmelreich ist bei den Ärmsten, bei diesen wunderbar gewachsenen, freien Menschen mit Frieden, diesen erhabenen Geschöpfen aus einer so fremden Welt. Wenn ich an Akolé denke oder an Akóshia …“, schwärmte er immer noch beeindruckt. Da Katharina mit den eigentümlichen Aussagen dieses auf sie etwas unsympathisch wirkenden Mannes nichts anfangen konnte, entschloss sich nun endgültig zum Verlassen des Cafés.

(Ende Teil 4 / Fortsetzung folgt …)

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