KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (5) © 2009, Sonja Hubmann

 

Erst, als sie vor diesem stand, merkte sie, dass es Tag war, wenngleich ein sehr kühler Tag. Es musste wohl schon Herbst sein. Ein neugieriger Blick auf die Fassade des Kaffeehauses, in dem sie sich soeben befunden hatte, verriet ihr, dass es sich dabei um das „Café Central“ gehandelt hatte. Hm, der Name war ihr auf jeden Fall ein Begriff. Aber was hatte sie da drinnen nur gewollt, so ganz Mutterseelen alleine? Irgendwie schien ihr die Umgebung ungewohnt fremd und doch wieder eigenartig vertraut. Vielleicht hatte wollte sie sich mit jemandem treffen? Oder sie hatte sich bereits mit jemandem in dem Kaffeehaus getroffen? 

Katharina wanderte in ihrem langen, dunkelblauen Kleid, das für ihr Empfinden fast etwas unangenehm eng an ihrem Körper haftete, über den Michaelerplatz. Hatte es hier nicht einmal ein weiteres Café gegeben? Auf ihrem Marsch begegneten ihr die verschiedenartigsten Menschen: Stattliche Männer in maßgeschneiderten schwarzen, grauen oder auch dunkelbraunen Anzügen huschten mit ihren vornehmen Gehstöcken an ihr vorüber; ein kleiner Junge spielte am Straßenrand mit seiner Kappe, die er hoch in die Luft warf und danach wieder auffing; ein schmächtiger Mann zog einen mit Säcken voll beladenen Leiterwagen; eine elegant gekleidete Dame verharrte schirmdrehend an einer der gläsernen Schaufenster; Pferdewägen ratterten über das Pflaster. 

Ein etwas älterer, südländisch aussehender Mann schleppte einen prallen Sack auf seinem Rücken und rief lautstark: „Fandl, Sprudl, brettane Nudel, hulzerne Fertl, fleischane Schlegl, hulzerne Tegl! Kaaft’s!“ Als der Schreihals an ihr vorüberschlenderte, stieg Katharina der beißende Geruch von Knoblauch und Zwiebel in die Nase. Ein weiterer Passant murmelte jedoch etwas genervt in seinen gepflegten Bart: „Herrjemine, immer diese Zwiebel-Krowoten.“ Katharina beeilte sich, um aus dem Dunstkreis des kroatischen Warenanbieters zu kommen. 

Sie widmete ihre Aufmerksamkeit nun den Kopfbedeckungen der so unterschiedlichen Menschen. Die schon etwas älteren Männer schmückten ihr Haupt mit schwarzen Melonen, andere bevorzugten weiße Strohhüte und wiederum andere zeigten sich mit dunklen Zylindern. Die Burschen und Kinder begnügten sich zumeist mit einem lässigen Käppchen und bei den Frauen schien jede Art der Behütung erlaubt zu sein, je extravaganter desto besser. Eigenartig, dachte Katharina und griff sich dabei bestätigend auf ihre eigene Kopfbedeckung. Hatte sie diesen Hut tatsächlich schon immer getragen? Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass er wie ein Fremdkörper auf ihrem Kopf thronte.

Als sie sich mit suchendem Blick nach dem vermeintlich zweiten Kaffeehaus umsah, musste sie feststellen, dass hier keines zu sehen war. Um sicher zu gehen, bat sie eine schon etwas ältere Dame um Auskunft: „Entschuldigung, aber war da nicht einmal ein Café?“ Die ganz in schwarz gekleidete Lady drehte sich in die von Katharina angegebene Richtung und lachte dann amüsiert auf: „Ha, Sie meinen wohl das Café Griensteidl? – Nein, das gibt es nicht mehr. Das wurde am 21. Jänner geschlossen!“

„Geschlossen?“, wiederholte Katharina ungläubig, woraufhin sie eine genauere Erklärung erhielt: „Ja, weil das alte Palais demoliert wurde. Das hier wird jetzt das neue Palais Herberstein.“, deutete sie auf die neobarocke Baustelle im Hintergrund. Katharina folgte ihrem Blick und musste mit einiger Verwirrung erkennen, dass sich hier definitiv kein Kaffeehaus befand. Sie bedankte sich dennoch und begutachtete den vor ihr liegenden Michaelerplatz, in dessen Mitte sich eine schlanke Straßenlaterne erhob. War da nicht einmal eine Ausgrabungsstätte gewesen? Nein, wohl nicht, sonst müsste man ja noch Spuren von den Bauarbeiten sehen.

(Ende Teil 5 / Fortsetzung folgt …)

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