Ihr Blick wanderte nach rechts in die Naglergasse. An der Ecke fiel ihr ein wunderschönes
Gebäude auf, das zu ebener Erde symbolisch von zwei weiblichen Statuen gehalten
wurde. Dazwischen befand sich prominent das „Tailors Outfitters“. Hierbei
konnte es sich wohl nur um eine Schneiderei handeln. An der Seitenfassade
prangte ein schwarz-goldenes Schild mit der Aufschrift „Goldman &
Salatsch“. Katharina ließ ihren Blick an dem Gebäude etwas höher wandern, bis
ihre dunklen Augen plötzlich eine Fensterwerbung für „Uniformen für das „k.
& k. Yacht Geschwader“ erspähten. Yacht-Geschwader? Sie hielt kurz inne und
überlegte, ob sie jemals von einer Österreichischen Seemacht gehört hatte. –
Nein, nicht wirklich.
Sie sah auf das gegenüberliegende Objekt, in dem ein
Gold- und Silberjuwelier seine kostbaren Waren im Schaufenster anbot. Ein Stück
darüber, so auf Höhe des dritten Stockwerks, machte schon wieder eine Reklametafel
auf sich aufmerksam. Darauf abgebildet war eine schwarze Schreibmaschine mit
dem Schriftzug „Smith Premier, Vervielfältigungs-Bureau“.
Das immer noch leicht verwirrte Mädchen lugte kurz in Richtung Tuchlauben und
musste erkennen, dass auch dort etliche Werbezettel und Plakate an die Hauswände
geklebt waren. Da gab es „Eiskästen mit Eisfüllung“ oder „Reithoffer’s
patentierte Schnellreinigungsseife“. Etwas höher fand sich noch eine zweite
Reklametafel dieses Herrn Reithoffer. Diesmal warb er darauf für „Reithoffer’s
pneumatic Gummiwaren Fabrik“.
Vor diesem Gebäude versuchte ein junger Mann
seine Hafnerware den vorüber eilenden Passanten zu verkaufen. Sein getöpfertes
Kochgeschirr fand jedoch keinen besonders großen Anklang, ganz im Gegensatz zu
den kleinen, vogelähnlichen Pfeifchen, die er in seiner umfangreichen
Produktpalette hatte. Zwei aufgeweckte Kinder starrten fasziniert auf die
Miniatur-Vögelchen und reklamierten bei ihrer Mutter lautstark ihr Interesse an
diesen Pfeifchen. Der sympathische Verkäufer überreicht das Vögelchen dem jüngeren
der beiden Burschen und forderte ihn auf, durch das Mundloch zu blasen:
„Probier‘ amoi auf dem Pfaiflan z’blasen!“ Der Dreikäsehoch pustete mit aller
Gewalt in die Öffnung und erzeugte einen unangenehmen, ohrenbetäubenden Ton,
der Katharina sofort zum Weitermarschieren animierte.
Sie wollte über den Graben zum Stephansdom. Auf dem Weg dorthin fiel ihr aber ein
prunkvoll verziertes Gebäude auf, dessen Fassade den unübersehbaren Schriftzug
„Niederländische Lebensversicherungs-Gesellschaft“ trug. War da nicht noch vor
kurzem eine Bank drinnen gewesen? Vor ihrem geistigen Auge huschte die
Aufschrift „Erste Bank“ vorüber, aber im selben Augenblick verblasste dieses
Trugbild wieder und sie ärgerte sich über die Streiche, die ihr offenbar von
ihrem Gehirn gespielt wurden. Sie seufzte und las das Schild „Wechselstube“,
das auf dem Gebäude rechts daneben angebracht war.
Beim krampfhaften Versuch
ihre Gedächtnislücken zu füllen, war ihr jedoch fast entgangen, dass ein sichtlich
liebesbedürftiges Fiaker-Pferd gerade begonnen hatte, an ihrem Umhang zu
knabbern: „Hallo“, lachte sie etwas erschrocken und strich dem verspielten Tier
über die samtweichen Nüstern. Der Besitzer des kecken Pferdes zog es ein Stück
zurück und maßregelte es mit einem Lächeln: „Pfui, Amadeus. Lass die junge Dame
in Ruah!“ Er entschuldigte sich freundlich bei Katharina und wandte sich nach
einem hinter ihm stehenden Mann um, dem er allerdings nicht ganz so freundlich
gesonnen war: „Hallo, Schorschi“, schrie er seinen behäbigen Gehilfen an, „net
deppat umadum schaun! Geh‘, wasch‘ die Kutsch’n, oder i such ma an ander’n
Wasserer!“, forderte er den mit einem Eimer Wasser Bewaffneten zum Kutsche
waschen auf.
Katharina warf abermals einen Blick in Richtung „Niederländische Versicherung“
und sah, dass sich in dem Gebäude auch noch andere Firmen befanden, darunter
auch ein amerikanischer Zahnarzt, der mit dem Schild „American Dentist E. M.
Thomas“ seine Dienste anpries. Katharina überlegte kurz, ob ihr vielleicht ein
Zahn weh tat. Nein, alles in bester Ordnung. Der mit Werbematerial zugekleisterten
Litfaßsäule schenkte sie dann aber ebenso wenig Beachtung wie der sich dahinter
befindlichen „Wechselstube“. Auch das hübsche Terrassenlokal, das sich in
demselben Gebäudekomplex befand, würdigte sie keines Blickes.
Vielmehr
Aufmerksamkeit widmete sie hingegen einer alten Frau, die mit einem Korb voll
duftendem Lavendel die Straße querte und unablässig ihr Sprüchlein rief: „An
Lavendel hätt‘ i do! Kauft’s ma an o!“ Auch Katharina blieb von diesem Sing-Sang
nicht verschont. Das rüstige Lavendl-Weib blieb nun direkt vor ihr stehen,
wiederholte ihre Botschaft und hielt Katharina einen der lila Büschel unter die
Nase: „Bitt’schön, kaufen’s ma an o!“, flehte die grauhaarige, mit einem
Kopftuch geschmückte Händlerin. Katharina zog ihr besticktes Täschchen zu Rate
und warf einen prüfenden Blick in ihr Portemonnaie. Nur 50 Kreuzer? Das war
alles, was sie bei sich hatte? Sie schüttelte mit einigem Bedauern den Kopf:
„Tut mir leid, aber ich hab‘ selbst nicht viel.“, stammelte sie entschuldigend.
In diesem Moment trat jedoch ein stattlicher Anzugträger mit Zylinder an die
von Falten zerfurchte Lavendel-Frau heran und kaufte ihr kurzerhand fünf Bündel
der wohlriechenden Pflanze ab. Ein besonders leuchtendes lila Blümchen überreichte
er galant dem verdutzt dastehenden Mädchen: „Bitteschön, Mademoiselle, ein
kleines Geschenk.“ Katharina nahm das zarte Pflänzchen errötend entgegen und
hauchte ein überraschtes „Danke“. Der galante Herr tippte kurz an seinen
Zylinder und verabschiedete sich von Katharina und der nun überglücklichen
Lavendel-Frau, die ihm noch tausend Glückwünsche hinterherrief und sich hoffnungsfroh
auf die gegenüberliegende Seite des Gehsteigs begab.
Katharina zog das Blümchen
durch ein freies Knopfloch ihres leichten Umhangs und beobachtete noch ein
wenig das bunte Treiben um sie herum.
(Ende Teil 7 / Fortsetzung folgt …)
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