KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (7) © 2009, Sonja Hubmann

Ihr Blick wanderte nach rechts in die Naglergasse. An der Ecke fiel ihr ein wunderschönes Gebäude auf, das zu ebener Erde symbolisch von zwei weiblichen Statuen gehalten wurde. Dazwischen befand sich prominent das „Tailors Outfitters“. Hierbei konnte es sich wohl nur um eine Schneiderei handeln. An der Seitenfassade prangte ein schwarz-goldenes Schild mit der Aufschrift „Goldman & Salatsch“. Katharina ließ ihren Blick an dem Gebäude etwas höher wandern, bis ihre dunklen Augen plötzlich eine Fensterwerbung für „Uniformen für das „k. & k. Yacht Geschwader“ erspähten. Yacht-Geschwader? Sie hielt kurz inne und überlegte, ob sie jemals von einer Österreichischen Seemacht gehört hatte. – Nein, nicht wirklich. 

Sie sah auf das gegenüberliegende Objekt, in dem ein Gold- und Silberjuwelier seine kostbaren Waren im Schaufenster anbot. Ein Stück darüber, so auf Höhe des dritten Stockwerks, machte schon wieder eine Reklametafel auf sich aufmerksam. Darauf abgebildet war eine schwarze Schreibmaschine mit dem Schriftzug „Smith Premier, Vervielfältigungs-Bureau“. 

Das immer noch leicht verwirrte Mädchen lugte kurz in Richtung Tuchlauben und musste erkennen, dass auch dort etliche Werbezettel und Plakate an die Hauswände geklebt waren. Da gab es „Eiskästen mit Eisfüllung“ oder „Reithoffer’s patentierte Schnellreinigungsseife“. Etwas höher fand sich noch eine zweite Reklametafel dieses Herrn Reithoffer. Diesmal warb er darauf für „Reithoffer’s pneumatic Gummiwaren Fabrik“. 

Vor diesem Gebäude versuchte ein junger Mann seine Hafnerware den vorüber eilenden Passanten zu verkaufen. Sein getöpfertes Kochgeschirr fand jedoch keinen besonders großen Anklang, ganz im Gegensatz zu den kleinen, vogelähnlichen Pfeifchen, die er in seiner umfangreichen Produktpalette hatte. Zwei aufgeweckte Kinder starrten fasziniert auf die Miniatur-Vögelchen und reklamierten bei ihrer Mutter lautstark ihr Interesse an diesen Pfeifchen. Der sympathische Verkäufer überreicht das Vögelchen dem jüngeren der beiden Burschen und forderte ihn auf, durch das Mundloch zu blasen: „Probier‘ amoi auf dem Pfaiflan z’blasen!“ Der Dreikäsehoch pustete mit aller Gewalt in die Öffnung und erzeugte einen unangenehmen, ohrenbetäubenden Ton, der Katharina sofort zum Weitermarschieren animierte.

Sie wollte über den Graben zum Stephansdom. Auf dem Weg dorthin fiel ihr aber ein prunkvoll verziertes Gebäude auf, dessen Fassade den unübersehbaren Schriftzug „Niederländische Lebensversicherungs-Gesellschaft“ trug. War da nicht noch vor kurzem eine Bank drinnen gewesen? Vor ihrem geistigen Auge huschte die Aufschrift „Erste Bank“ vorüber, aber im selben Augenblick verblasste dieses Trugbild wieder und sie ärgerte sich über die Streiche, die ihr offenbar von ihrem Gehirn gespielt wurden. Sie seufzte und las das Schild „Wechselstube“, das auf dem Gebäude rechts daneben angebracht war. 

Beim krampfhaften Versuch ihre Gedächtnislücken zu füllen, war ihr jedoch fast entgangen, dass ein sichtlich liebesbedürftiges Fiaker-Pferd gerade begonnen hatte, an ihrem Umhang zu knabbern: „Hallo“, lachte sie etwas erschrocken und strich dem verspielten Tier über die samtweichen Nüstern. Der Besitzer des kecken Pferdes zog es ein Stück zurück und maßregelte es mit einem Lächeln: „Pfui, Amadeus. Lass die junge Dame in Ruah!“ Er entschuldigte sich freundlich bei Katharina und wandte sich nach einem hinter ihm stehenden Mann um, dem er allerdings nicht ganz so freundlich gesonnen war: „Hallo, Schorschi“, schrie er seinen behäbigen Gehilfen an, „net deppat umadum schaun! Geh‘, wasch‘ die Kutsch’n, oder i such ma an ander’n Wasserer!“, forderte er den mit einem Eimer Wasser Bewaffneten zum Kutsche waschen auf.

Katharina warf abermals einen Blick in Richtung „Niederländische Versicherung“ und sah, dass sich in dem Gebäude auch noch andere Firmen befanden, darunter auch ein amerikanischer Zahnarzt, der mit dem Schild „American Dentist E. M. Thomas“ seine Dienste anpries. Katharina überlegte kurz, ob ihr vielleicht ein Zahn weh tat. Nein, alles in bester Ordnung. Der mit Werbematerial zugekleisterten Litfaßsäule schenkte sie dann aber ebenso wenig Beachtung wie der sich dahinter befindlichen „Wechselstube“. Auch das hübsche Terrassenlokal, das sich in demselben Gebäudekomplex befand, würdigte sie keines Blickes. 

Vielmehr Aufmerksamkeit widmete sie hingegen einer alten Frau, die mit einem Korb voll duftendem Lavendel die Straße querte und unablässig ihr Sprüchlein rief: „An Lavendel hätt‘ i do! Kauft’s ma an o!“ Auch Katharina blieb von diesem Sing-Sang nicht verschont. Das rüstige Lavendl-Weib blieb nun direkt vor ihr stehen, wiederholte ihre Botschaft und hielt Katharina einen der lila Büschel unter die Nase: „Bitt’schön, kaufen’s ma an o!“, flehte die grauhaarige, mit einem Kopftuch geschmückte Händlerin. Katharina zog ihr besticktes Täschchen zu Rate und warf einen prüfenden Blick in ihr Portemonnaie. Nur 50 Kreuzer? Das war alles, was sie bei sich hatte? Sie schüttelte mit einigem Bedauern den Kopf: „Tut mir leid, aber ich hab‘ selbst nicht viel.“, stammelte sie entschuldigend. 

In diesem Moment trat jedoch ein stattlicher Anzugträger mit Zylinder an die von Falten zerfurchte Lavendel-Frau heran und kaufte ihr kurzerhand fünf Bündel der wohlriechenden Pflanze ab. Ein besonders leuchtendes lila Blümchen überreichte er galant dem verdutzt dastehenden Mädchen: „Bitteschön, Mademoiselle, ein kleines Geschenk.“ Katharina nahm das zarte Pflänzchen errötend entgegen und hauchte ein überraschtes „Danke“. Der galante Herr tippte kurz an seinen Zylinder und verabschiedete sich von Katharina und der nun überglücklichen Lavendel-Frau, die ihm noch tausend Glückwünsche hinterherrief und sich hoffnungsfroh auf die gegenüberliegende Seite des Gehsteigs begab. 

Katharina zog das Blümchen durch ein freies Knopfloch ihres leichten Umhangs und beobachtete noch ein wenig das bunte Treiben um sie herum.  

(Ende Teil 7 / Fortsetzung folgt …)

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