KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (8) © 2009, Sonja Hubmann

 Sie wanderte auf dem rechten Trottoire, von wo aus sie einen besseren Blick auf den Josefsbrunnen hatte, dessen Wasserfontänen angenehm dahinplätscherten. Schon wieder entdeckte sie eine Schneiderei, diesmal war es der „Tailor Heinrich Grünbaum“. Katharina ging an der ihr wohlbekannten Pestsäule vorüber und beäugte wohlwollend den in der Nähe befindlichen Leopoldsbrunnen. Den gleichmäßigen Hufschlag der kutschenziehenden Pferde, die unentwegt neben ihr hertrabten, ignorierte sie allerdings geflissentlich. Am Graben 7 bewunderte sie zwei attraktive Damen, die sich vor dem Parfümeriegeschäft Baumann für die angebotenen Waren begeisterten. 

Eine der beiden teuer gekleideten Ladies deutete auf das obere Stockwerk und rief gut hörbar: „Nein, Theresia, zuerst lassen wir uns beim Paul Szekely die Haare machen, dann kaufen wir uns beim Stern etwas Hübsches und das passende Parfum besorgen wir uns als i-Tüpfelchen!“ Ihre mindestens genauso hübsche Begleiterin zeigte sich mit dem Vorschlag durchaus einverstanden und lachte: „Unsere Ehemänner werden staunen und uns gar nicht wiedererkennen!“ „Meiner erkennt mich bestimmt am leeren Geldbörs’l wieder, aber er wollte ja immer eine teure Frau!“, verkündete die schlanke Schönheit amüsiert. „Das hast Du wohl ein bisschen mißverstanden. Er meinte bestimmt, er wolle eine treue Frau.“, kicherte die andere nun über ihren eigenen Witz. 

Katharina lugte nach oben und las das Schild „Stern & Comp, Robes“. Aha, „Robes“ bedeutete wohl Kleider. Sie sah etwas enttäuscht an ihrem eigenen Gewand hinab. Naja, im Vergleich zu den exklusiven Roben der beiden Damen wirkte ihr langer Rock etwas eintönig und schlicht, aber es gab ja noch die berühmten „inneren Werte“, tröstete sie sich insgeheim. 

Beim „Stock im Eisen Platz“ dachte sie kurz nach, welchen Weg sie nun einschlagen sollte. Nach rechts in die Kärntnerstraße einbiegen, gerade aus in die Singerstraße, oder nach links zum Stephansdom und dann die Rotenturmstraße hinunter? Sie musterte ihren momentanen Standort und las abermals die zahlreichen Gebäudeaufschriften. Auf der Fassade vor ihr befand sich schon wieder eine Wechselstube. Wozu brauchte man eigentlich all diese Wechselstuben? Gab es denn nicht schon seit geraumer Zeit eine Einheitswährung? Komisch, warum fiel ihr dann der Name dieser Währung nicht mehr ein? 

Über dieser Wechselstube hatte sich laut Werbetafel ein „Tailor und Habit Maker“ angesiedelt. Katharina konnte sich bei dem Wort „Tailor“ schon denken, dass auch hier ein tapferes, kleines Schneiderlein seine Geschäftsniederlassung hatte. Und ganz oben gab es laut Plakatankündigung noch den „Specialarzt Dr. Reti“. Sehr nett, dachte sie, und wanderte ein paar Schritte in die Kärntnerstraße hinein, wo linkerhand ein Möbelgeschäft wunderschön gearbeitete Stühle und Tische ausgestellt hatte. 

Auch hier versuchten fahrende Händler ihre Waren an den Mann zu bringen. Ein fescher Italiener, den ein Passant als „da Welsche“ betitelte, bot günstige Plastiken feil. Die kunstvoll gearbeiteten Figurini erfreuten sich großer Beliebtheit und fanden ihre Abnehmer. Trotz der frischen Brise tummelten sich die verschiedenartigsten Menschen in den Straßen. Sie kauften, verkauften, handelten, tratschten oder unterhielten sich lautstark von einem Fenster zum anderen. 

Katharina stieg plötzlich ein deftiger Gulasch-Duft in die Nase und erinnerte sie daran, dass ihr Magen schön langsam seinen Anspruch auf Nahrung anmeldete. Mit 50 Kreuzern würde sie aber bestimmt kein vernünftiges Essen bekommen, befürchtete sie.

(Ende Teil 8 / Fortsetzung folgt …)

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