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KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (34) © 2009, Sonja Hubmann

Der blonde Oberstufenschüler trat nun verhalten an Katharina heran, die immer noch wie angegossen neben ihrer Freundin Nadine stand, die gerade in Katharinas Notizen vertieft war. Marcel entschuldigte sich mit etwas Bedauern bei der immer noch verwirrt wirkenden Schülerin: „Ich hätte Dir auch gerne geholfen, aber Jasmin hat mich ja förmlich dazu gezwungen. Ich hoffe, Dir ist etwas eingefallen?“  Noch bevor Katharina darauf antworten konnte, ertönte Nadines Stimme aus dem Hintergrund: „Wahnsinn! Das ist brillant, Katharina. Diese Details, diese realistische Erzählweise, unglaublich. Man könnte meinen, Du wärst tatsächlich dort gewesen.“, lobte sie die Geschichte ihrer Schulkameradin. Katharina sah an Marcel empor und beantwortete etwas stockend seine Frage: „Ja, offensichtlich ist mir auch ein bisschen etwas zu dem Thema eingefallen.“  Marcel, der immer noch ein schlechtes Gewissen hatte, weil er Jasmin geholfen hatte und ihr nicht, überreichte Katharina nun seine Visitenkarte: „Hier, f

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (33) © 2009, Sonja Hubmann

Und nun, beim dritten Mal, war auch endlich der Inhalt zu ihr durchgedrungen: „Katharina, ich hab‘ da ein paar Informationen im Internet gefunden!“, brüllte ihr die wohlbekannte Stimme eines Mädchens ungeduldig entgegen. Katharina öffnete die Augen und fand sich in jener Position wieder, in der sie sich schon einmal wähnte. Sie wollte etwas vom Boden aufheben, doch es war kein Stofftaschentuch, sondern ein Schulheft. Als es ihr endlich gelungen war, das Heft mit ihren kalten Fingern zu ergreifen, wurde sie von ihrer Freundin Nadine scherzhaft zurechtgewiesen: „Hey, Du solltest meine Geschichte lesen und sie nicht wegwerfen!“ Katharina brauchte einige Sekunden um sich emotional zu fangen. War sie gerade von einer Schlafattacke überfallen worden? Was war mit Markus? Wo war die Parkbank? Wo die Prachtillumination? Hatte sie dieses „Venedig in Wien“ etwa nur geträumt? Nein, das konnte nicht sein. Es war doch alles so real gewesen. Der Kuss, die Gondelfahrt, das Riesenrad und all die andere

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (32) © 2009, Sonja Hubmann

  Sie schlenderten durch die von Gaskandelaber beleuchteten Wege und bekamen gerade noch das Ende des Monster-Streichorchesters mit, das mit hundert Mann auf dem zweiten Campo konzertierte. „Unglaublich“, staunte Katharina von diesem Klangerlebnis gefesselt, „wie bekommt man denn so ein großes Orchester zusammen?“ Markus enträtselte ihre Frage: „Das ist das bosnisch-herzegowinische Infanterie-Regiment 4 und die Tiroler Kaiserjäger.“ „Das klingt wahrlich mächtig.“, gestand Katharina überwältigt.  Leider endete das Konzert für ihre Begriffe viel zu früh, aber die anschließende Prachtillumination des gesamten Vergnügungsparks versöhnte sie wieder vollends. Riesige elektrische Reflektoren beleuchteten den Park und verliehen ihm ein zauberhaftes Ambiente, das nur hin und wieder durch besonders grelle Strahlen durchbrochen war. Ein Heer von flimmernden Glühlampen zog Tausende von Insekten in ihren Bann, die munter um die Lichtquellen tanzten. „Wir müssen zurück zum Riesenrad!“, mahnte Kathar

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (31) © 2009, Sonja Hubmann

Währenddessen die Musikkapelle herzhaft und feierlich „God save the Queen“ intonierte, bestieg um Punkt acht Uhr der Botschafter mit Lady Rumbold samt Anhang die Ehrentribüne. Die Ingenieure Harry Hitchins und Robert Feilendorf übernahmen die Honneurs. Katharina und Markus bemühten sich redlich alle Details der einmaligen Zeremonie mit ihren Blicken zu erhaschen, hatten jedoch immer wieder Mühe durch die dicht gedrängten Körper ihrer Vordermänner und -frauen zu lugen.  Trotz des zeitweiligen Rempelns und Schubsens konnten sie verfolgen wie Lady Rumbold einen Hammer aus der bereit gestellten Kassette befreite und die beiliegende Schraube mit ein paar herzhaften Schlägen symbolisch in den Eisenträger schlug. Abermals stimmte die Kapelle die englische Volkshymne an und Tausende Menschen nahmen wie auf ein stummes Kommando hin ihre Hüte andächtig ab. Erst als Chef-Ingenieur Hitchins die schlagkräftige Lady mit einem dreimaligen „hipp, hipp, hurrah“ hochleben ließ, folgte die Menschenmenge

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (30) © 2009, Sonja Hubmann

In einem verwunschen wirkenden Seitenarm des Kanals erlagen sie einmal mehr dem magischen Zauber der Lagune. Während zu ihrer Rechten die hohen Steinwände eines Palazzos emporragten, versteckte sich zu ihrer Linken ein idyllisches Holzhäuschen mit palmenbegrüntem Innenhof. Das natürliche Blätterdach der hohen Praterbäume verlieh der ohnehin schon romantischen Szenerie noch zusätzliches Ambiente.  Vielleicht jetzt? Katharina erhoffte sich abermals einen Kuss ihres attraktiven Gefährten, musste aber schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass Markus seinen Blick bereits ans Ende der Lagune gerichtet hatte, wo auf einer Mauer „Täglich Grinzinger“ zu lesen war. Frechheit, dachte sie und ärgerte sich ein wenig darüber, dass ihn eine augenscheinliche Bierwerbung mehr als ihr Liebreiz zu fesseln vermochte. Nach ein paar Metern richteten sich aber auch ihre Augen wieder auf die eindrucksvolle Architektur der Palastfronten, die wie altertümliche Monumente aus dem Wasser ragten. „Diese ganze Kanalanl

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (29) © 2009, Sonja Hubmann

Doch just in jenem Moment wollte der temperamentvolle Venezianer, der so gekonnt die Holzstange führte und damit seine navigatorischen Künste unter Beweis stellte, wohl auch noch Lorbeeren für seine gesanglichen Qualitäten ernten, denn er stimmte mit ohrenbetäubender Lautstärke den neapolitanischen Gassenhauer „Funicula“ an. Markus und Katharina schenkten einander einen verstörten Blick und mussten plötzlich schmunzeln.  Der gutaussehende Gondoliere war dermaßen mit seinem Schöngesang beschäftigt, dass er fast vergaß den Kopf rechtzeitig einzuziehen, als er das Boot unter einer Brücke hindurch manövrierte. Katharina hoffte, dass das Lied nach maximal zwei Strophen enden und sich der enthusiastische Bariton nun endlich wieder voll und ganz dem Steuern widmen würde. Sie hatte Glück. Der dunkelhaarige Gondoliere hatte seinen bemühten Gesang eingestellt und beglückte seine beiden Insassen nun mit heiliger Ruhe.  Doch auch diese Idylle sollte nicht lange wehren. Als sie unter einer weiteren

KATHARINA SCHLÄFT "Venedig in Wien" (28) © 2009, Sonja Hubmann

Nachdem sich die vier voneinander getrennt hatten, schlenderte Katharina mit vornehmer Zurückhaltung über weitere Brücken, die in hübschen Innenhöfen mündeten. Was Katharina ein bisschen irritierte, waren die vielen Holzleitern, die an die Hausmauern gelehnt waren. Vermutlich brauchte man diese um auch von außen rasch an Fensterläden und Dachgiebel zu kommen. Sie verkniff sich diese Frage allerdings, da ihr bereits eine wichtigere auf der Zunge brannte: „Wann beginnt das Jubiläumsfest?“  Markus zog seine silberne Taschenuhr zu Rate und überlegte halblaut: „Also, jetzt ist es 5 Uhr und die Feierlichkeiten werden bestimmt nicht vor 6 Uhr anfangen. Wir haben somit noch etwas Zeit.“  „Gut!“, antwortete Katharina und hoffte, dass Markus ihr den Vorschlag einer Gondelfahrt unterbreiten würde. Doch da kam zunächst einmal gar nichts. Kein Wort, kein Satz und schon gar kein derartiger Vorschlag.  Gerade als Markus etwas sagen wollte, war auch Katharina mit dem Anfang eines Satzes herausgeplatzt